Veröffentlicht am 26. September 2019

„Wir haben schon vor zehn Jahren davor gewarnt, dass wir auf einen eklatanten Hausarzt-Mangel zu steuern. Damals hat uns die Politik nicht ernst genommen, aber heute weiß man auch in den Gesundheitsministerien in Berlin und München, wie ernst die Lage wirklich ist. Bis aber die Gegenmaßnahmen greifen und wir mehr Hausärzte ausgebildet haben, werden noch Jahre vergehen. Sprich: Das Schlimmste kommt noch“, erklärte Dr. Petra Reis-Berkowicz auf einem gesundheitspolitischen Diskussionsabend des JU-Kreisverbandes Wunsiedel in Selb.

Dr. Reis-Berkowicz hatte an diesem Abend gleich vier Hüte auf – als Vorsitzende der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, als Vorsitzende der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, als stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes und als auf dem Land niedergelassene Hausärztin.

Die engagierte Hausärztin warnte davor, dass Problem Hausarztmangel zu unterschätzen und die Fakten nur oberflächlich zur Kenntnis zu nehmen. So werden laut Versorgungsatlas der KVB die 25.499 Einwohner von Selb in der Oberpfalz derzeit von 18 Hausärzten versorgt – was einem Versorgungsgrad von 109,3 Prozent entspricht. „Aus der täglichen Erfahrung wissen die Bürger, dass es in Selb aber nicht zu viele Hausärzte gibt, wie es die Statistik vielleicht suggeriert“, erklärt Dr. Reis-Berkowicz und riet dazu, die entsprechenden Statistiken richtig zu lesen: „Von den 18 Hausärzten in Selb sind acht über 60 Jahre alt und werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Schon jetzt schließt in Bayern jede Woche eine Hausarztpraxis für immer, weil sich kein Nachfolger findet. Das müssen wir in Selb verhindern.“

Gleichzeitig wandte sich Dr. Reis-Berkowicz gegen vermeintlich schnelle Patentlösungen. „Wir dürfen unsere medizinische Versorgung nicht an renditefixierten Investoren verkaufen, die uns das Blaue vom Himmel versprechen. Die beste Versorgung erhalten die Patientinnen und Patienten von Hausärzten, die frei von Kapitalinteressen großer Konzerne tätig sind. Der freiberufliche Hausarzt, die Gemeinschaftspraxis oder das von Hausärzten betriebene MVZ sind deshalb auch in Zukunft die besten Adressen für eine gute Versorgung, bei der DER Patient im Mittelpunkt steht.“

Mittlerweile, so Dr. Reis-Berkowicz, sei auch das Licht am Ende des Tunnels sichtbar. „An der steigenden Anzahl an Facharztprüfungen im Bereich Allgemeinmedizin sehen wir, dass es ein wachsendes Interesse bei Medizinstudierenden gibt, eine Karriere als Hausärztin oder Hausarzt anzustreben. Die zahlreichen Bemühungen, unseren Beruf attraktiver zu machen, tragen also erste Früchte, aber bis wir Entwarnung geben können, werden noch Jahre vergehen.“

Dass die Talsohle durchschritten ist, liegt vor allem an den Hausarztverträgen, die jetzt im Gesetz verankert sind und gerade den jungen Medizinern eine wirtschaftliche sinnvolle Perspektive bieten, sich niederzulassen. Weitere Punkte sind unter anderem die Reform des Bereitschaftsdienstes und die Möglichkeit rein hausärztliche MVZs zu gründen. Dr. Reis-Berkowicz: „Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist zurecht ein wichtigstes Thema für den Nachwuchs. Als Hausärztin kann ich heute jederzeit selbst entscheiden, ob ich freiberuflich eine eigene Praxis führen oder angestellt in Voll- oder Teilzeit arbeiten möchte. Diese Flexibilität findet man in kaum einem anderen Beruf.“

 

 

 

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