Erfolgreiche Petition: Einführung des eRezepts „auf unbestimmte Zeit verschoben"

Die Einführung des E-Rezepts ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Das ist ein Erfolg der Petition zur Einführung einer Testphase für TI-Anwendungen. Vorausgegangen waren scharfe Proteste, wie unter anderem des Bayerischen Hausärzteverbands. Nicht ausgesetzt wurde dagegen die Einführung der eAU: Praxen müssen, sobald sämtliche technische Voraussetzungen verfügbar sind, auf die eAU umstellen.

 
Dr. Jakob Berger
Vor dem Petitionsausschuss des Bundestags: Dr. Petra
Reis-Berkowicz stellt das Anliegen der Petition vor.

Wer nicht kämpft, hat schon verloren: Die Einführung von eAU und eRezept war von der vormaligen Bundesregierung beschlossene Sache. Ursprünglich sollte zum 1. Oktober 2021 die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) in allen Praxen zwangseingeführt werden. Zum 1. Januar 2022 sollte dann das eRezept folgen.

Nur: Die Software der verschiedenen Anbieter funktionierten schon im kurzen Probebetrieb nicht. Es kam immer wieder zu Datenpannen und Systemabstürzen. Obwohl die Einführung der eAU zum 1. Oktober 2021 für den damaligen Gesundheitsminister wie erwartet zum Flop wurde, pochte das Ministerium weiter auf den 1. Januar 2022 als Starttermin für das eRezept. Die Folge waren scharfe Proteste, unter anderem vom Bayerischen Hausärzteverband, gegen die stümperhaften Digitalisierungspläne.

Ärzte und Patienten: "Beta-Tester im Live-Betrieb"

„Mit der verpflichtenden, stichtagsbezogenen Einführung der genannten Anwendungen werden alle Arztpraxen, Apotheken, gesetzlichen Krankenkassen und letztlich auch alle gesetzlich Versicherten als Beta-Tester im Live-Betrieb zu Versuchskaninchen im Gesundheitswesen“, warnte Dr. Petra Reis-Berkowicz, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstand des Bayerischer Hausärzteverbandes sowie Vorsitzende der Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns.

Die engagierte Hausärztin aus Gefrees in Oberfranken startete daraufhin eine Petition an den Deutschen Bundestag und forderte, dass solche IT-Projekte erst dann verpflichtend eingeführt werden dürfen, wenn sie bei einem Flächentest zwölf Monate ihre Tauglichkeit bewiesen haben.

Innerhalb von nur vier Wochen unterschrieben 53.751 Bürgerinnen und Bürger diese Petition und setzten damit ein deutliches Zeichen. Nachdem das Quorum von 50.000 Unterschriften damit klar erreicht wurde, kam die Causa auf die öffentliche Tagesordnung des Petitionsausschusses, der dann am 14. Februar 2022 tagte. Bereits zuvor hatte der neue Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach die Reißleine gezogen und noch vor Jahresanfang die Zwangseinführung des eRezepts ausgesetzt, nicht aber die eAU: Seit 01.01.2022 ist das alte Muster 1 gemäß Bestimmungen des Bundesmantelvertrag-Ärzte ungültig. Es dürfen demnach nur noch die neuen Stylesheets zur Anwendung kommen, die von den Praxisverwaltungssystem-Herstellern im Rahmen der eAU-Modul-Updates bereitgestellt wurden. Praxen müssen, sobald sämtliche technische Voraussetzungen verfügbar sind, auf die eAU umstellen. Ab 01.07.2022 stellen die Krankenkassen den Arbeitgebern die AU-Daten elektronisch zur Verfügung. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen alle Praxen den neuen Prozess bedienen.

Neue E-Anwendungen nicht "im Schweinsgalopp und mit der Brechstange"

Im Petitionsausschuss bestätigte die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Sabine Dittmar (SPD), die Entscheidung zum eRezept und erklärte, dass die ursprünglich für den 1. Januar 2022 geplante Einführung „auf unbestimmte Zeit verschoben“ werde.

In der Sitzung des Petitionsausschusses nutzte Dr. Petra Reis-Berkowicz (Rede im Wortlaut weiter unten) die Gelegenheit, an das Verantwortungsbewusstsein der Politik zu appellieren. „Im Schweinsgalopp und mit der Brechstange" nicht ausgereifte Digitalprojekte durchsetzen zu wollen, sei kontraproduktiv, warnte die Hausärztin und stellte fest: „Eine Digitalisierung, die die Versorgung der Patienten verbessert und die Arbeitsabläufe erleichtert und beschleunigt, wird von der Ärzteschaft ausdrücklich begrüßt.“

Des Weiteren kritisierte Dr. Petra Reis-Berkowicz die technischen Hürden, die die Praxen meistern müssen. Neben der Anschaffung von sieben verschiedenen Geräten hapere es häufig an einer stabilen und schnellen Internetverbindung, insbesondere auf dem Land. Die Politik sei deshalb gut beraten, bei der Einführung von Digitalprojekten die Expertise der Anwender stärker zu nutzen. Diese Mahnung traf nicht auf taube Ohren. Die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar, die selbst Hausärztin ist, nahm die Anregung auf und versprach: Man werde prüfen, inwieweit die Ärzteschaft besser in die Schaffung digitaler Lösungen eingebunden werden könne.

Die Sitzung des Petitionsausschusses können Sie hier ansehen:

Video-Mitschnitt des Petitionsausschusses

 

 

Die Rede von Dr. Petra Reis-Berkowicz im Wortlaut:

Einen schönen guten Tag, sehr geehrte Frau Vorsitzende Stamm-Fiebich, sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder des Petitionsausschusses. Ich danke Ihnen, dass Sie uns die Anhörung unserer Petition heute ermöglicht haben.

Vorab: Die kassenärztliche Vereinigung Bayerns, wendet sich nicht gegen die Digitalisierung per se; sie ist Befürworterin einer verantwortungsvollen Digitalisierung im Gesundheitswesen, die ohne Zweifel längst überfällig und erforderlich ist. Allerdings sind Art und Weise, wie die Digitalisierung mit der eAU und dem eRezept eingeführt und durchgesetzt wurde – nämlich im Schweinsgalopp und mit der Brechstange – kontraproduktiv und ausgesprochen besorgniserregend im Hinblick auf alle künftigen Digitalisierungsmaßnahmen.

Eine Digitalisierung, die die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessert, die eine Erleichterung und eine Beschleunigung der Arbeitsabläufe ermöglicht, begrüßen wir ausdrücklich. Man denke hier beispielsweise an vereinfachte Dokumentationsverfahren, zum Beispiel kein stundenlanges Einscannen von Arztbriefen oder Befunden in die Patientenkartei. Das würde uns den Alltag erleichtern. Es ist höchste Zeit für cybersichere digitale Anwendungen, die der Zusammenarbeit mit anderen am Gesundheitssystem Beteiligten, wie mit den Apothekern, den Krankenkassen und in naher Zukunft auch mit den Arbeitgebern und insbesondere den Patienten zugutekommen.

Denn eine bessere Vernetzung zwischen den Gesundheitsberufen trägt im Idealfall zu einer effizienteren Behandlung des Patienten bei. Als über 30 Jahre niedergelassene Ärztin in einer großen hausärztlichen Landpraxis spreche ich auch für sehr, sehr viele Kolleginnen und Kollegen und kann Ihnen sagen, dass wir im Laufe der Zeit sehr viele Entwicklungen positiv begleitet haben. Umstellungen auf neue Prozesse, wie bei der eAU und dem eRezept greifen in erheblichem Maße in unsere Praxisabläufe ein, denn die Ausstellung von AUs und Rezepten sind in der Anzahl und Bedeutung fundamentaler Bestandteil der täglichen Praxistätigkeit.

Was verbirgt sich jedoch technisch dahinter?

Für die Erstellung und den Versand einer eAU bzw. des eRezeptes braucht man einen funktionierenden Anschluss an die Telematik-infrastruktur. Das heißt: Konnektor, VPN-Zugangsdienst, Kartenlesegeräte, KIM-Dienst, SMC-B-Karte, einen eHeil-Berufe-Ausweis, und ein passendes Modul im PraxisVerwaltungSystem. Und selbstverständlich ein stabiles und schnelles Internet, auch auf dem Land. Wie Sie dieser verkürzten Darstellung entnehmen können, braucht es viel neue Technik, welche allein und aufeinander abgestimmt funktionieren muss und das dann auch nicht nur in der Arztpraxis, sondern auch im Zusammenspiel mit Krankenkassen, Apotheken Arbeitgebern und allen Beteiligten. Insofern ist es sicher nachvollziehbar, dass dies in einem kurzen Test-Zeitfenster ohne Referenz eines voll laufenden Praxisbetriebes, ohne Berücksichtigung der in den Praxen bereits vorhandener IT und den unterschiedlichen Playern für die einzelnen Komponenten, nicht funktionieren kann.

Da eine Installation dieser komplexen Komponenten in Eigenregie auch nahezu unmöglich ist, waren schließlich auch die Anbieter und deren Supportstrukturen durch den Ansturm und Unterstützungsbedarf der Praxen nach kurzer Zeit überfordert und kaum noch erreichbar. Auch hier fehlte offensichtlich die Zeit für ausgereifte Entwicklung und Testung. Aufgrund der verschiedensten technischen Probleme mit der eAU beziehungsweise dem eRezept und der Vielzahl Beteiligter wurden letztlich bis Ende 2021 nicht einmal 13 Prozent aller AU-Bescheinigungen auf digitalem Weg an die KK übermittelt. Zudem verfügten zu diesem Zeitpunkt auch ca. 40 Prozent der Praxen über keinen funktionierenden Kommunikations-Dienst. Der Stand im Februar 2022 ist nahezu unverändert

Ein großes Problem besteht darin, dass die Krankenkassen häufig nicht in der Lage sind, elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen schnell anzunehmen und den Eingang zu bestätigen. Hat die Übertragung nicht geklappt, bedeutet das für die Praxis doppelten Arbeitsaufwand. Die eigentliche digitale Bescheinigung muss nun ausgedruckt und an die Krankenkassen per Post versendet werden. Das passiert aktuell in nahezu der Hälfte aller Übertragungs-Versuche.

Das wäre so, als wenn Sie jede zweite Whatsapp-Nachricht ausdrucken und dann postalisch an den Empfänger senden müssten, eben weil nicht übertragen wurde.

Die gleiche Problematik zeigt sich mit dem eRezept: in der Testphase Juli bis Dezember 2021 wurden deutschlandweit 42 eRezepte getestet, dies war die Referenz für die Massenanwendung von jährlich über 500 Millionen Rezepten. Bis heute klappt das technische Zusammenspiel zur eRezept-Erstellung in 140.000 Praxen nur marginal, nämlich nur in 1 Prozent der Fälle.Hätten wir nicht noch das Papierrezept, müssten diese technische Fehlleistung am Ende die Patienten ausbaden, und die Versorgung mit Medikamenten, insbesondere von lebenswichtigen Medikamenten, wäre nicht gewährleistet. Noch eine Baustelle: Das Problem ist wieder dasselbe: Die neu ausgegebenen kontaktlosen Versicherten-Karten wurden nicht ausreichend getestet.

Sonst wäre aufgefallen, dass es unter bestimmten Konstellationen zu einer elektrostatischen Entladung kommt, die die Kartenterminals in den Praxen lahmlegen. Es sind tausende Kartenterminals deutschlandweit davon betroffen. Das Hochfahren der abgestürzten EDV kostet extrem viel Zeit und verlangsamt unseren eng getakteten Praxisbetrieb, gerade in Corona-Zeiten, und erschwert erheblich die Versorgung der Patienten. Die Nerven unserer Mitarbeiterinnen werden täglich aufs Neue maximal strapaziert und liegen oftmals blank.

Was diese Beispiele zeigen:

Die neuen digitalen Verfahren könnten theoretisch einen Mehrwert bringen. Sie bewirken jedoch genau das Gegenteil, weil gemäß dem Prinzip „Tempo vor Genauigkeit“ fehlerhafte und unausgegorene Verfahren eingeführt wurden. Die neuen digitalen Verfahren haben zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand und einem chaotisierten Praxisalltag geführt und unsere Mitarbeiterinnen und Patienten in hohem Maße frustriert, demotiviert und leider auch zu einem Abwandern von qualifizierten und hochmotivierten Fachkräften geführt. Das kann in einem ohnehin personell schwer zu besetzenden Gesundheitsbereich nicht die gewollte Folge der Digitalisierung sein!      

Wir brauchen ein funktionierendes, verlässliches Gesundheitssystem mit qualifiziertem und motiviertem Personal. Das hat die Pandemie überdeutlich gezeigt. Deshalb ist für uns unabdingbar, dass vor der Überführung in den Regelbetrieb technisch-digitale Anwendungen hinlänglich erprobt, Dysfunktionalitäten beseitigt, zur reibungslosen Integration in den Praxisalltag adäquat angepasst sind und versorgungsrelevant sind. Ansonsten geht das Vertrauen der niedergelassenen Ärzte in digitale Verfahren nachhaltig verloren.

Um die Patientenversorgung nicht zu gefährden ist noch eines ganz besonders wichtig: Wir brauchen zusätzlich dauerhafte papierbasierte Ersatzverfahren bei Ausfall oder Störung in der Datenübermittlung oder anderer technischer Strukturen.

Ich komme zum Schluss und mein Fazit lautet:

Eine wichtige Lektion aus der letzten Legislaturperiode ist: TEMPO IST NICHT ALLES und wir bedanken uns ausdrücklich bei Minister Lauterbach, dass er kurz nach Amtsübernahme dies erkannte, die Reißleine zog und bis 30. Juni 2022 die Anwendungsverpflichtung von eAU und eRezept außer Kraft setzte. Deshalb bitte ich Sie, Frau Vorsitzende Stamm-Fiebich und die Mitglieder des Petitionsausschusses diese Petition positiv zu würdigen und an die Bundesregierung mit der Bitte um Berücksichtigung und Abhilfe zu überweisen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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