"MFA sind Ersthelfer mit medizinischer Qualifikation"

Dr. Jakob Berger
 Notfallsanitäter Tobias Hock. Foto: Bäuerle Ambulanz

Ein älterer Mann kippt mitten in der Praxis um…was er hat? Zunächst unklar. Jede Sekunde zählt. Aber was genau ist jetzt als Erstes zu tun? Und wo ist überhaupt der Notfallkoffer? Notfälle treten überraschend auf und verlangen schnelles Handeln. Notfallsanitäter Tobias Hock erklärt im Interview, warum es so wichtig ist, auch in der Hausarztpraxis gut darauf vorbereitet zu sein.

Sie arbeiten als Notfallsanitäter in Augsburg. Was ist Ihre Aufgabe?

Hock: Ich bin Notfallsanitäter und auch Ausbilder. Als Notfallsanitäter bin ich der Beifahrer im Rettungswagen und für die medizinische Versorgung des Patienten zuständig. Ich entscheide, welche Maßnahmen getroffen werden und versorge den Patienten so lange, bis es dem Patienten wieder besser geht – oder in schwerwiegenderen Fällen – bis der Notarzt kommt.

Sie bieten über den Bayerischen Hausärzteverband auch Seminare an. Was ist das Ziel Ihrer Fortbildung „Der Notfall in der Hausarztpraxis“?

Hock: Im Seminar erkläre ich das allgemeine Vorgehen im Notfall, der Umgang mit dem Notfallequipment und was dann zu tun ist. Ich hoffe damit, den medizinischen Fachangestellten (MFA) die Angst nehmen zu können und Ruhe reinzubringen. Das Ziel ist, ihnen das Handwerkszeug zu geben und Struktur in ihre Praxis zu bringen. Die Hausaufgabe ist dann oft: Das Notfallequipment aufräumen und klären - wer macht was, wann, wie und wo?

Die Arztpraxis hat ja für den Patienten meistens das beste Setting; es gibt medizinisches Fachpersonal und die entsprechende Ausstattung zur Versorgung. Und je besser die MFA und die Hausarztpraxis den Patienten versorgen, desto besser für diesen. Die MFA als Fachpersonal haben zudem schon ein wenig notfallmedizinische Erfahrungen im Rahmen ihrer Ausbildung gesammelt, sie sollten da einen Vorteil haben. So oder so ist aber kein Vorwissen nötig, ich erkläre nochmal alles von Grund auf.

Warum ist es für Hausarztpraxen wichtig, sich auf Notfälle vorzubereiten?

Hock: Der Notfall kann überall passieren, natürlich auch in der Hausarztpraxis, da ist das vermutlich noch wahrscheinlicher als anderswo. Gerade im ländlichen Bereich gibt es Notfälle von A bis Z. Da kommt auch derjenige, der sich mit der Axt an der Hand verletzt hat. Selbst wenn sowas nur selten vorkommt, sollte der Patient adäquat versorgt werden können.
Der Hausarzt muss also alles abdecken können – und der Patient erwartet das. Oft zeigt sich ein Notfall auch völlig unspektakulär - zum Beispiel wenn ein Patient mit Herzinfarkt in die Praxis kommt und einfach sagt: „Mir drückt es da“ und auf den Brustkorb zeigt. Dann muss man auch das richtig einschätzen können, welcher Patient jetzt noch warten kann und welcher eine Art „stiller“ Notfall ist. Und diese immens wichtige Aufgabe einer ersten Einschätzung leisten die MFA.

Wie kann sich eine Praxis gut auf einen Notfall vorbereiten?

Hock: Vorbereiten kann sich die Praxis durch regelmäßiges Üben und sich fit halten, also Fortbildungen besuchen. Regelmäßige Notfalltrainings gehören zu einer guten Versorgung dazu. Routine ist ganz wichtig. Je öfter man etwas macht, desto besser meistert man das. Gerade da wo Angst und Hektik vorherrscht, funktioniert vieles nicht so, wie es soll.

Viele Arztpraxen machen einmal im Jahr ein Training. Ich sage: Man braucht ja nicht immer die Theorie referieren. Statt jährlich einen Acht-Stunden-Kurs zu absolvieren ist es sinnvoller, regelmäßig zu üben, zum Beispiel zwei Stunden pro Monat – gerade auch in der eigenen Praxis. Wichtig ist, in solchen Trainings zu klären: Wo ist das Notfallequipment, was ist drin und wer bedient es? Jeder muss wissen, was zu tun ist und wo sein Equipment ist. MFA sind Ersthelfer mit medizinischer Qualifikation. Sie machen das, was jeder macht, nur eben ein bisschen besser.

Nicht nur in Arztpraxen wird der Umgang mit Notfällen eher selten geübt; Erste-Hilfe-Kurse gibt es verpflichtend nur zum Führerschein. Ist das ein Problem?

Hock: Es ist tatsächlich ein großes Manko: Erste Hilfe wird nur einmal gezwungenermaßen zum Führerschein gemacht. Man macht das fürs Autofahren, es interessiert aber nicht alle. Dann schieben viele das Thema auch wieder von sich weg, wollen nicht darüber nachdenken. Wenn man dieses Wissen dann wirklich braucht, ist es oft nur unzureichend abrufbar. Basiswissen – dass ich beispielsweise bei einer Reanimation im Wechsel 30 Mal Herzdruckmassage durchführe und dann zwei Mal beatme – sollte aber jeder drauf haben.

Erste-Hilfe-Kurse wären daher für jeden Bürger sinnvoll. Da liegen wir in Deutschland im internationalen Vergleich ganz weit hinten. In anderen Ländern ist das verpflichtend, zum Beispiel durch jährliche Trainings in der Schule.

Was bedeutet das für Sie vor Ort als Notfallsanitäter?

Hock: Ich erlebe häufig, dass wir gar keinen Ersthelfer haben. Und das führt dazu, dass es um die Patienten schlechter steht, als es der Fall sein müsste. Ich frage mich dann oft: Warum hat denn keiner mit der Reanimation angefangen? Der Grund dafür ist meist die Angst, etwas falsch zu machen. Wobei ich immer sage: Wirklich was falsch machen kann man ja gar nicht. Denn toter als tot geht nicht. Der größte Fehler ist also wirklich, nichts zu tun!

In Arztpraxen ist aber bereits medizinisch geschultes Personal: Braucht es in den Praxen trotzdem eine Auffrischung in dem Bereich?

Hock: Ja, auf jeden Fall! Denn der Notfall ist durch seine Seltenheit auch in der Praxis immer das Stiefkind. Im Praxisalltag geht es um andere medizinische Themen – und das, was man oft macht, das haben auch alle drauf. Aber viele kennen zum Beispiel ihr Notfallequipment nicht so gut, wie ich mir das wünsche. Die wissen dann nicht, in welcher Tasche was drin ist. Eine Notfallsituation ist immer eine Stresssituation, deshalb ist regelmäßige Übung so wichtig. Der Notfall kommt vielleicht nur einmal im Jahr, aber das muss dann auch wirklich laufen.

Was ist denn nun das wichtigste in einem Notfall?

Hock: Erstmal Ruhe bewahren, das ist das A und O. Dann muss Hilfe gerufen werden – ein Notfall ist nichts, was ich alleine mache. Im Idealfall ist der Arzt verfügbar. Dann gilt es, zu handeln und auf die Anweisungen des Arztes zu reagieren. Was dann getan werden muss, hängt natürlich vom jeweiligen Fall ab – je nachdem, was vorliegt.

Sie sagten ja bereits, dass Routine ganz wichtig für Notfälle ist. Was sollen die Teilnehmenden aus Ihrem Kurs mitnehmen?

Hock: Zum einen wünsche ich mir, dass sie die Hemmung verlieren und das Gefühl entwickeln, mit Notfällen gut umgehen zu können. Zum anderen sind MFA hier auch Multiplikatoren und können darauf hinwirken, dass sich ihre Praxis besser auf Notfälle vorbereitet. Denn wenn nur einer weiß, was zu tun ist und der Rest nicht, dann ist das unzureichend. Es ist besser, wenn alle Bescheid wissen.

Es ist hier also auch wichtig, bei Bedarf den Chef darauf anzusprechen. Man kann dann gemeinsam regelmäßig an Fallbeispielen üben – die Auszubildende, die in der Berufsschule gerade das Verband anlegen gelernt hat, kann das noch einmal vorführen oder der Chef zeigt die Reanimation mit der Notfallpuppe. Oder wir setzen uns alle einmal gemeinsam hin und sprechen über unser Notfallequipment. Klar, das ist viel Eigeninitiative. Aber es nützt ja auch der Praxis und ihren Patienten, wenn die MFA und das gesamte weitere Praxisteam gut auf einen Notfall vorbereitet sind.

Zur Fortbildung: "Der Notfall in der Hausarztpraxis"

Themen in HOME ÜBER UNS SERVICE AKTUELL HZV FORTBILDUNG NACHWUCHS STIFTUNG :

Login Mitgliederbereich:

Login Mitgliederbereich

Suche: