„Wir machen unsere Hausaufgaben“

Stephan Pilsinger
Dr. Wolfgang Ritter und Dr. Petra Reis-Berkowicz

Auf dem Bayerischen Hausärztetag, der heuer am 12. und 13. Mai in München-Riem stattfindet, zieht der Vorstand des Bayerischen Hausärzteverbandes traditionell Bilanz und diskutiert mit den Mitgliedern aktuelle berufspolitische Themen und die zukünftige Strategie. Für Dr. Wolfgang Ritter und Dr. Petra Reis-Berkowicz wird das in ihren neuen Funktionen als Landesvorsitzender und als 1. Stellvertretende Landesvorsitzende eine Premiere sein.

Herr Dr. Ritter, Frau Dr. Reis-Berkowicz, wie bewerten Sie die vergangenen Monate für den Bayerischen Hausärzteverband?

Dr. Wolfgang Ritter: Unser hausärztlicher Kollege Dr. Christian Pfeiffer ist als Nachfolger von Dr. Wolfgang Krombholz zum Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns gewählt worden. Dr. Gerald Quitterer wurde gegen drei Mitbewerber gleich im ersten Wahlgang als Präsident der Bayerischen Landesärztekammer wieder gewählt. Dr. Petra Reis-Berkowicz ist mit hervorragenden Ergebnissen sowohl als Vorsitzende der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als auch der Kassenärztliche Vereinigung Bayerns bestätigt worden. Und Dr. Markus Beier, unser langjähriger Landesvorsitzender und Ehrenvorsitzender, führt jetzt als Bundesvorsitzender den Deutschen Hausärzteverband. So viel Einfluss und Gestaltungsmöglichkeit hatte der Bayerische Hausärzteverband noch nie. Das haben wir aber nur erreicht, weil wir als Team gemeinsam an einem Strang ziehen.

Dr. Petra Reis-Berkowicz: Neben der Besetzung wichtiger Positionen durch hausärztliche Kollegen ist es uns gelungen, das Klima zu ändern, vor allem in der KV. Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als es heftigste Auseinandersetzungen zwischen uns Hausärzten und den anderen Facharztgruppierungen gab. Mittlerweile pflegen wir einen kollegialen Umgang und ziehen in vielen Fragen am gleichen Strang. Anders wären die Wahlergebnisse auch nicht erklärbar, da wir Hausärztinnen und Hausärzte zwar in der KVB und der BLÄK jeweils die stärkste Fraktion sind, aber keine absolute Mehrheit haben. Die Delegierten, und damit meine ich uns Hausärzte, die anderen Fachärzte und die Psychotherapeuten, haben mittlerweile verstanden, dass wir uns nur selbst schaden, wenn wir uns gegeneinander ausspielen lassen.

Bei welchen Themen muss die Ärzteschaft an einem Strang ziehen?

Dr. Ritter: Ein Beispiel: Der Missbrauch der Medizinischen Versorgungszentren durch renditegetriebene Kapitalgesellschaften ist ein Frontalangriff auf unser Gesundheitssystem und eine akute Bedrohung für die niedergelassene Ärzteschaft sowie für die ambulante Versorgung. In einigen Bereichen, wie bei den Augenärzten, gibt es bereits Monopolbildungen. Es muss jedem klar sein, dass Private-Equity-Unternehmen nur dann einsteigen, wenn sie mit einer langfristig hohe Kapitalrendite rechnen oder wenn hohe Verkaufsgewinne winken, das MVZ also schnell und mit hohem Aufschlag weiterverkauft werden kann. Mit einer seriösen und nachhaltigen Versorgung hat das nichts zu tun. Am Ende zahlen die Patientinnen und Patienten die Zeche. Diese Fehlentwicklung müssen wir umgehend stoppen.

Dr. Reis-Berkowicz: Ein anderes Thema, das ebenfalls die gesamte Ärzteschaft betrifft, ist die fehlgeleitete Digitalisierung. Die Erfahrungen, die wir mit eCard, eRezept und ePatientenakte bislang machen mussten, sind einer Industrienation wie Deutschland nicht würdig. Wir Ärztinnen und Ärzte sind für eine sinnvolle Digitalisierung, verlangen aber, dass digitale Lösungen unsere tägliche Arbeit erleichtern und nicht erschweren. Dazu gehört auch, dass die Programme vor dem Einsatz in den Praxen einem Belastungstest unterzogen worden sind und fehlerfrei funktionieren. Für permanente Systemabstürze haben wir weder Zeit noch Nerven.

Dr. Ritter: Ziel muss es sein, dass die Politik nicht weiter komplexe Sachverhalte ohne jede Kenntnis der Praxis und über unsere Köpfe hinweg entscheidet. Da sind wir uns fachgruppenübergreifend einig. Wir sind gerne bereit, unser Wissen und unsere Erfahrung in die politische Willensbildung miteinzubringen.

Gibt es auch Themen, bei denen Sie sich mit den anderen Facharztgruppen nicht einig sind?

Dr. Ritter: Wir können von den Kolleginnen und Kollegen nicht erwarten, dass sie sich für die hausarztzentrierte Versorgung begeistern, aber viele Fachärzte haben verstanden, warum für uns und unsere Patientinnen und Patienten die Hausarztverträge so wichtig sind. Es geht um nicht weniger als den Erhalt der wohnortnahen hausärztlichen Versorgung unserer Bevölkerung. Und die Kollegen respektieren das. Die Fortentwicklung der Hausarztzentrierten Versorgung zu einem freiwilligen Primärarztsystem böte auch den anderen Facharztkolleginnen und -kollegen Chancen. Wenn es uns gelingt, die Mangelressource Arzt verantwortungsvoller einzusetzen, könnten die Kollegen jene Patienten, die wirklich den Facharzt benötigen, besser versorgen. Am Ende profitieren alle davon.

Ein großes Problem ist der Nachwuchs. Ist das Schicksal oder Versagen der Politik?

Dr. Reis-Berkowicz: Allein die Tatsache, dass der Masterplan Medizinstudium 2020 auch im Jahr 2023 noch nicht umgesetzt worden ist, beantwortet die Frage. Die Politik steuert sehenden Auges in eine Versorgungslücke – und dies seit Jahren, egal unter welchem Gesundheitsminister. Wir brauchen aber nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern auch Medizinische Fachangestellte. Als Bayerischer Hausärzteverband haben wir deshalb in den vergangenen Jahren zahlreiche Anstrengungen unternommen, um diesen wichtigen Beruf noch attraktiver zu machen. Eine MFA hat heute sehr gute Perspektiven, sich weiterzuentwickeln. Neben der Fortbildung zur VERAH bieten wir seit 2016 die zur BEAH an, zur Betriebswirtschaftliche Assistentin in der Hausarztpraxis. Neu ist das Angebot, als MFA einen Bachelor-Abschluss draufzusatteln. Der erste Jahrgang des von uns mit dem Hochschulverband FOM konzipierten Studiums läuft gerade.

Dr. Ritter: Auch bei den Medizinstudierenden sind wir aktiv. Zum Beispiel laden wir im Rahmen unseres Nachwuchstags vor dem Bayerischen Hausärztetag seit Jahren Medizinstudierende sowie Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung zum Get-Together ein und informieren über die Allgemeinmedizin. Über die Stiftung Bayerischer Hausärzteverband fördern wir Blockpraktika, Famulaturen und PJs in Landarztpraxen. Wir zeigen also nicht nur mit dem Finger auf die Politik, sondern machen auch unsere Hausaufgaben.

 

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