Klartext Hausarztmedizin – der Politik-Talk mit Ates Gürpinar: „Pflege und Gesundheit lassen sich nicht über Profit lösen“

Zitrone mit bvkj

In Runde 3 der Veranstaltungsreihe „Klartext Hausarztmedizin" am Mittwochabend (04.08.2021) hatte Dr. Markus Beier, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes, Ates Gürpinar zu Gast, stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke und Sprecher des Landesverbandes Die Linke Bayern. Gürpinar kandidiert für den Bundestag bei der anstehenden Wahl im September. In der virtuellen Diskussionsrunde, moderiert von Diplomjournalist Torsten Fricke, war schnell ein gemeinsamer Nenner gefunden: Die Ablehnung profitorientierter Kapitalgesellschaften im Gesundheitswesen.

Neu im politischen Geschäft ist Ates Gürpinar nicht. „Ich bin schon häufiger bei Wahlen politisch aktiv gewesen, aber mit dem Fokus auf eine realistischen Chance, in den Bundestag einziehen zu können, zum ersten Mal“, sagte er eingangs. Seit 2010 ist er bei Die Linke - „ich hätte mir, ehrlich gesagt, auch nichts anders vorstellen können“, und kam aus der außerparlamentarischen Bewegung, wo er sich vor allem mit Bildungspolitik und Friedenspolitik beschäftigt hat. Nun sei er vor allem durch die letzten Jahre bei dem Thema Gesundheit und Pflege gelandet: „Wir hatten 2018 ein Pflege-Volksbegehren in Bayern mit angezettelt“. Er nimmt nun den Listenplatz des Bundestagsabgeordneten Harald Weinberg ein, der bei der Bundestagswahl im September nicht mehr kandidiert und aktuell stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Gesundheit ist. Auch deswegen sei das Thema Gesundheit und Pflege immer mehr in seinen Fokus gerückt, so Gürpinar.

„Bedarfsgerechtes, nicht profitorientiertes System“

Nicht nur für ihn persönlich, auch für seine Partei scheint dieses Thema ein wichtiges zu sein: Im aktuellen Wahlprogramm steht es an dritter Stelle und ist sehr ausführlich, wie Moderator Torsten Fricke anmerkte. Kein Zufall, bestätigte Gürpinar. Man habe sich seit sechs, sieben Jahren immer mehr auf den Bereich Pflege und Gesundheit fokussiert, „vor allem, was den stationären Bereich und das Thema Pflege angeht, da haben wir am meisten gesehen, da gibt es was zu tun, aber es lässt sich auch was bewegen“. Hier nannte er vorrangig das Thema Fallpauschalen. Denn, so Gürpinar, das Thema Pflege und Gesundheit lasse sich nicht über Profit lösen. „Du kannst keine Krankenhäuser wirklich nach Profit orientieren, sondern musst sie eben darauf orientieren, dass die Menschen gesund werden und wie sie am besten gesund werden. Und das lässt sich mit Fallpauschalen nicht lösen“.

„Die Krankenhäuser wurden privatisiert und müssen im zweiten Schritt profitorientiert arbeiten“, erläuterte er später noch. „Da geht es neben den Fallpauschalen, wo du schauen kannst, was bringt Geld, was bringt kein Geld, um Einsparungen“, so Gürpinar und meinte vor allem Personalkürzungen. Hier sei ein bedarfsgerechtes, kein profitorientiertes System nötig. „Die Behandlung ist dann eben so teuer, wie sie ist, mit den Tagen oder Nächten, die eine Person nach der Operation noch stationär behandelt werden muss, und mit der Anzahl der Pflegekräfte, die dafür wirklich gebraucht werden.“ Das führe auch zu besseren Arbeitsbedingungen - Gürpinars Überzeugung nach eine wichtige Maßnahme gegen den Pflegekräftemangel.

Eindämmung von MVZ in Kapitalhand als gemeinsamer Nenner

Dass unter dem Druck von Kapitalinteressen ärztliche Versorgung, Arbeitsbedingungen und Heilbehandlung schlechter werden, ist auch die Sichtweise von Dr. Beier. „Da muss ich ganz klar den Linken ein Kompliment machen, dass sie dieses Thema MVZ in Kapitalhand in der vergangenen Legislaturperiode wirklich sehr groß und sehr fundiert angelegt haben. Diese Diskussion haben wir aufgegriffen, und da erhoffen wir uns auch, dass es weitergeht, weil wir eben auch im ambulanten Bereich den Ausverkauf von Fachgruppen sehen“, stellte er fest. „Die Eindämmung dieser MVZ-Struktur, da haben wir einen großen gemeinsamen Nenner“, zeigte er sich überzeugt.

Angestellte Mediziner und Aufhebung der Sektorengrenzen

Nicht aber generell beim Thema MVZ: „Ich glaube, das Ziel könnte sein, gerade in Bereichen, wo es momentan immer weniger Ärztinnen und Ärzte gibt, Versorgungszentren zu schaffen, die allerdings entweder in kommunaler oder genossenschaftlicher - zumindest nicht privatisierter Hand sind, wo sich die für die verschiedenen Bereiche notwendigen Ärztinnen und Ärzte zusammenfinden“, schilderte Gürpinar seine Vorstellungen künftiger medizinischer Versorgung. Bei derartigen Projekten, bei denen auch die Trennung zwischen stationär und ambulant aufgehoben wäre, denkt der Linke-Politiker an Krankenhäuser, die vor der drohenden Schließung oder vor der Privatisierung stehen. Damit könne man einerseits um Krankenhausschließungen herumkommen und andererseits eine einigermaßen wohnortnahe Versorgung sicherstellen, so Gürpinar.

Als Freiberufler andere Bindung zu PatientInnen und MFA

Ein Weg, den Dr. Beier nicht mitgehen will: „Ich kenne die theoretischen Untersuchungen dazu nicht, aber ich kann sagen, wenn eine Praxisstruktur oder ein Zentrum eine gewisse Größe hat mit Schichtplänen und einer gewissen Fluktuation, geht die persönliche Beziehung bis zu einem gewissen Punkt verloren.“ Diese sei aber wichtig für den Behandlungserfolg. Man müsse bei solchen Strukturen immer auf die Größe aufpassen, folgerte er. „Ich habe auch erlebt, dass die Bindung, die ich als freiberuflicher Arzt sowohl zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch zu den Patientinnen und Patienten habe, eine andere ist als die Bindung, die ich als angestellter Arzt habe“, führte er weiter aus. „Wir sind einfach unseren Patientinnen und Patienten verpflichtet, wir machen die Medizin, die wir für richtig halten, und wir wollen unser Team zusammenhalten. Die Aufwertung der Berufe, die mit uns zusammenarbeiten, ist uns wichtig“, erklärte er und verwies auf die Fortbildung zur Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) und Pläne des Bayerischen Hausärzteverbandes für ein Projekt zur Akademisierung der VERAH. „Wir kämpfen aber auch für den Erhalt unserer etwas kleinteiligeren Struktur, weil wir glauben, dass damit die medizinische Versorgung besser und auch gerechter stattfindet.“

Gürpinar: „freiwillige Primärarztversorgung grundsätzlich richtig“

Die besondere Beziehung, die Patientinnen und Patienten zu ihre Hausärztin/ihrem Hausarzt haben, erkannte Gürpinar durchaus als wichtig an. Er befürwortete auch eine freiwillige Primärarztversorgung „als grundsätzlich richtig“ und hält ein Anreizsystem für Patientinnen und Patienten „für sinnvoll“, wobei er Baden-Württemberg als Beispiel nannte.

Dr. Beier wies darauf hin, dass auch in Bayern bereits 1,3 Millionen Versicherte in die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) als freiwilliges Primärarztsystem eingeschrieben sind und dass die Weiterführung der HZV im Dialog mit den Parteien für den Bayerischen Hausärzteverband ein ganz wichtiger Punkt sei. Neben den Vorteilen, den die Hausarztpraxis als erste Anlaufstelle für die medizinische Versorgung bietet, nannte Dr. Beier auch die aufgrund von Mehrheitsverhältnissen im KV-System schwierige Interessenwahrung der Hausärztinnen und Hausärzte. „Der primärärztliche Bereich in der Hausarztzentrierten Versorgung ist für uns viel einfacher selbstbestimmt zu gestalten“, so Dr. Beier. „Von daher mach ich auch kein Geheimnis draus, dass im Herbst bei den Koalitionsverhandlungen unser Hauptaugenmerk darauf liegt, dass die Hausärztezentrierte Versorgung erhalten bleibt.“

„Wenn wir als Hausärzte zurück in den Kollektivvertrag fallen, machen wir vielleicht was anderes“

Diese Selektivverträge nach § 73 b, die Hausarztverträge, seien für Hausärztinnen und Hausärzte so etwas wie ein Flächentarifvertrag, legte Dr. Beier später noch einmal nach. Zwar sei man in Bayern in der glücklichen Situation, an der KV-Regierung beteiligt zu sein und dadurch auch im Kollektivvertrag etwas bewegen zu können. „Ich habe heute lange mit unserem Ehrenvorsitzenden telefoniert, und wir waren uns beide einig: wenn wir als Hausärzte zurück in den Kollektivvertrag fallen, dann machen wir vielleicht auch was anderes oder gehen auf Kreta“, machte er jedoch unmissverständlich die Bedeutung der HZV klar.

Beim Thema Nachwuchs im hausärztlichen Bereich waren sich Gürpinar und Dr. Beier einig, dass die Aufwertung der ambulanten Medizin, wie im Reformentwurf für die Approbationsordnung angelegt, positive Effekte hätte. Gürpinar bedauerte, dass die neue Approbationsordnung am Einspruch einiger Bundesländer gescheitert war. Das Problem sieht er auch im „merkwürdigen Koordinierungszwang, den es zwischen Bund und Ländern gibt.“ „Wir halten es für unsinnig, dass es 16 verschiedene Bildungssysteme gibt.“

„Absolut unsere Zustimmung“ für BMG-Entwurf zur neuen Approbationsordnung

„Wir hatten mit dem Masterplan 2020 ein sinnvolles Konzept, um eben die sprechende Medizin und auch die hausärztliche ambulante Medizin zu stärken“, stimmte Dr. Beier zu. „Der Entwurf, der aus dem BMG kam für diese ärztliche Approbationsordnung, hatte absolut unsere Zustimmung. Wir hoffen sehr und arbeiten auch als Verband darauf hin, dass trotzdem bis Jahresende die ärztlichen Approbationsordnung umgesetzt werden kann.“ Ärgerlich sei, dass die Approbationsordnung mit Finanzargumenten zu Fall gebracht worden ist, die, so Dr. Beier, gar nicht existieren.

Ein Thema, das Gürpinar am Herzen liegt, zu dem aber der Bayerische Hausärzteverband eine eher neutrale Position hat, ist die Forderung der Linken nach einer solidarischen Gesundheitsversicherung. Gürpinar verwies auf eine Veröffentlichung der Bundestagsfraktion Die Linke, wonach eine solidarischen Gesundheitsversicherung insgesamt für die Menschen günstiger käme. Sowohl für die gesetzlich Versicherten wie auch für die Privatversicherten berge das momentane System Nachteile: „Die gesetzlich Versicherten bekommen keine Termine, die privat Versicherten alles, was in irgendeiner Form Geld bringt.“ Die Lösung aus seiner Sicht: Eine solidarische Gesundheitsversicherung, in die jeder einzahlt ohne Beitragsbemessungsgrenze.

Konflikt um solidarische Gesundheitsversicherung kein großes Thema für Hausärzte

Für Hausärztinnen und Hausärzte habe das Thema weniger Bedeutung, stellte Dr. Beier klar. Es gebe zwar durchaus Fachgruppen, die mittlerweile nur noch die Hälfte ihres Einkommens aus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beziehen. Im hausärztlichen Bereich aber werden etwa 85 Prozent der Einnahmen aus der GKV generiert, für die Hausärztinnen und Hausärzte als Fachgruppe spiele die private Krankenversicherung daher keine zentrale Rolle. Auch deshalb, weil sich Hausärztinnen und Hausärzte von ihrem Ansatz her als Ärztinnen und Ärzte für alle sehen, die in die Praxis kommen. „Bei uns wird in der Regel niemand gefragt, weder am Telefon noch am Eingang, wie er versichert ist, das wird danach geklärt. Und drum haben wir uns aus der Diskussion bisher rausgehalten“, so Dr. Beier.

Schwerpunkt im Pflege- und Krankenhausbereich

Zum Abschluss fragte Moderator Fricke Gürpinar, welche drei Themen er als erstes umsetzen würde, hätte er die Möglichkeit.
Gürpinar hat dabei vor allem den stationären und pflegerischen Bereich im Blick:

  • Aufwertung der Pflegeberufe und bessere Bezahlung,
  • Maßnahmen, um die Fallpauschalen wegzubekommen und
  • Personalbemessungsgrenze einführen

lautete seine Antwort in Kurzform. „Ich denke aber, dass gründliches Nachdenken, die wir auf dem Land genügend Ärzten Ärzte bekommen, eine Sache wäre, die wir gemeinsam angehen können, fügte er hinzu. Als gemeinsames Ziel mit den Hausärztinnen und Hausärzte sieht er zudem, Privatinvestoren aus dem ambulanten und stationären Bereich rauszubekommen und dann zu diskutieren, wie Versorgungseinrichtungen zu schaffen sind, die ambulant mit stationär verbinden – „aber auf jeden Fall nicht profitorientiert.“

„Finger weg von der Hausarztzentrierten Versorgung“

Dr. Beier wurde bei seinen drei Wünschen an die Politik auch noch einmal ganz konkret, was die HZV angeht: „Für uns ist wichtig: Finger weg von der Hausarztzentrierte Versorgung“.
Als zweiten Punkt nannte er, dass „die neue Approbationsordnung noch in diesem Jahr verabschiedet wird“, und der dritte, gemeinsame Punkt ist für ihn die Begrenzung von MVZ-Strukturen - sowohl was Größe, Ausdehnung, Weitergabe angeht.

Klartext Hausarztmedizin - der Politik-Talk

 

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