Verbands-Talk am Bayerischen Hausärztetag: Hausärzte und ihre Teams heimliche „Heldinnen und Helden der Pandemie“

 
Dr. Markus Beier
Virtuelle Podiumsdiskussion am
Bayerischen nHausärztetag

Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss: Mit der Mitgliederinformationsveranstaltung, dem berufspolitischen Highlight, ging der erste digitale Bayerische Hausärztetag vergangenen Samstagnachmittag zu Ende. Der Verbands-Talk stand dabei im Mittelpunkt: Dr. Markus Beier, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverband, hatte den Bundesvorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt und den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) Prof. Dr. Martin Scherer zur virtuellen Podiumsdiskussion eingeladen.

Ein großes Thema war COVID-19 und die Impfung dagegen. Dr. Beier stellte in seinem Eingangs-Statement die Rolle der HausärztInnen und ihrer Praxisteam heraus: In den zurückliegenden 14 Monaten der Pandemie seien sie die Stütze des Gesundheitswesens gewesen, die heimlichen „Heldinnen und Helden der Pandemie“ – und zwar von Anfang an. Auch als es noch kaum Schutzausrüstung gab, habe man versucht, ambulant zu behandeln, wo es ging, zu testen, zu beraten, und „manchmal sind wir auch ein bisschen Gesundheitsamt gewesen“.

„Ein MFA-Bonus ist mehr als überfällig“

Nun ist das Impfen gegen COVID-19 in den Hausarztpraxen hinzugekommen, „aber wir beraten schon seit Dezember unsere Patienten zur Corona-Impfung“, stellte Dr. Beier fest. Und in den Impfzentren gehörten Hausärztinnen und Hausärzte meist zu den Kern-Teams – das alles neben dem üblichen Praxisbetrieb und der Versorgung aller anderen Patienten. „Manchmal fühlen wir uns schon ein bisschen übersehen“, so Dr. Beier, und dankte den hausärztlichen Praxisteams. „Ein MFA-Bonus ist mehr als überfällig“, erklärte er.

„Wir sollten die MFA nicht vergessen“, mahnte auch Prof. Scherer. „Sie verdienen eine ähnliche Wertschätzung wie die Pflegekräfte, für die zurecht applaudiert wurde“.  Das sieht auch Ulrich Weigeldt so. In den Hausarztpraxen seien derzeit alle engagiert dabei und maximal belastet, ÄrztInnen wie MitarbeiterInnen. „Aber wenn ein Patient nach der Impfung glücklich aus der Praxis geht, färbt das auch auf uns ab“, nannte er einen Aspekt, der immer wieder für Motivation in den Praxen sorgt.

Impfstoff muss in die Praxen

Bei aller zusätzlichen Arbeit durch das Impfen war man sich einig: „Der Impfstoff muss jetzt in großer Zahl in die Hände der Hausärzte“, formulierte es Prof. Scherer. „Die Patienten wollen von ihrem Hausarzt geimpft werden“, sagte er und verwies auf Ergebnisse der Versorgungsforschung, wonach Hausärzte bei Patienten ganz oben stehen, wenn es um Vertrauen und die Wahl des Ansprechpartners bei medizinischen Fragen geht.

Dies entspricht auch der Forderung der Delegiertenversammlung, dass die Hausarztpraxen Impfstoffe in ausreichender und planbarer Menge erhalten und die Hausarztpraxen ab sofort den prioritären Zugriff auf alle Impfstoffe bekommen sollen, wie Dr. Beier berichtete.

„Priorisierung am besten in Hausarztpraxen aufgehoben“

Weigeldt findet auch die Priorisierung beim Impfen am besten in den Hausarztpraxen aufgehoben. „Wir können das am besten, es geht ja nicht nur ums Lebensalter“, so Weigeldt. Die Hausärzte würden als Impfexperten von der Öffentlichkeit wahrgenommen. „Das zeigen schon die vielen Medienanfragen zur Corona-Impfung in allen Landesverbänden und beim Bundesverband: Wir reden von dem, von dem wir was verstehen“. Gleichzeitig warnte er vor einem plötzlichen Wegfall der Priorisierungsvorgaben zu einem bestimmten Stichtag: „Das würde ein organisatorischen Chaos auslösen. Natürlich impfen wir alle – aber einer nach dem anderen.“

DEGAM-Handreichung hilft bei der Impfberatung

Trotzdem koste die Beratung zur Corona-Impfung in den Hausarztpraxen viel Zeit, nicht zu jetzt wegen der Verunsicherung, die Diskussionen um den Impfstoff von AstraZeneca ausgelöst haben. Prof. Scherer argumentierte mit dem deutlich höheren Risiko einer Erkrankung mit COVID-19 gegenüber dem Risiko schwerer Impf-Nebenwirkungen und verwies auf eine Handreichung der DEGAM als Argumentationshilfe. Auch die häufige Frage, ob ein Arzthaftungsrisiko bei einer Impfung unter 60-Jähriger mit dem AstraZeneca besteht, konnte Prof. Scherer klar verneinen: “Ein Arzthaftungsthema haben wir hier nicht“.

Eine weitere Frage aus dem Auditorium bezog sich auf die heterologe Impfung (Erstimpfung AstraZeneca, Zweitimpfung mit mRNA-Impfstoff) nach STIKO-Empfehlung. Hier verwies Prof. Scherer darauf, dass dazu keine internationalen Studien vorliegen und die WHO in ihren Empfehlung ausschließlich homologe Impfungen empfiehlt. Zur heterologen Impfung gibt es weder von der WHO noch von der Zulassungsbehörde EMA eine Empfehlung.

Zum neu zugelassenen Impfstoff von Johnson & Johnson erklärte er, dieser könne gut mithalten mit den anderen verfügbaren Vakzinen.

Dr. Beier ging auf die Dokumentation der Corona-Impfung ein und stellte hier noch einmal klar, dass es genügen müsse, diese wie alle anderen Impfungen auch im Impfausweis zu dokumentieren: „Wir können jetzt nicht noch Passamt spielen!“

 
Dr. Markus Beier
Staatsminister Klaus Holretschek

Staatsminister Holetschek für zügige Änderung der Approbationsordnung

Weiteres großes Thema neben Corona war die Nachwuchsgewinnung im hausärztlichen Bereich – für Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek ein „Zentrales Thema. Denn wir müssen jetzt die Zukunft im Blick haben“, sagte er in seinem Grußwort zum Bayerischen Hausärztetag. Eine besondere Rolle spiele dabei der Masterplan Medizinstudium. Er hoffe auf die zügige Änderung der Approbationsordnung. „Hier sind die Ziele eingearbeitet, die wir sehr begrüßen: Die Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium ganz nach dem Motto 'was in der täglichen Versorgung wichtig ist, muss auch den entsprechenden Stellenwert in der Ausbildung haben'“, so Holetschek und sprach damit den drei Hausärzten auf dem virtuellen Podium aus der Seele. Als Bremsklotz wurden die Universitäten ausgemacht. „Die haben ein Budget, und wenn jetzt mehr Geld in die Allgemeinmedizin fließt, bleibt etwas weniger für andere Bereiche“, erklärte Weigeldt. „Die Kultusminister stehen auf der Bremse“, so Weigeldt. Übersehen werde dabei, dass es etliche Bereiche gebe, die deutlich weniger wichtig sind als die Hausärzte.

Scheinargumenten gegen neue Approbationsordnung entgegentreten

Prof. Scherer wies darauf hin, dass der Referentenentwurf mit der Änderung der Approbationsordnung vom Bundestag verabschiedet sei und nun der Bundesrat am Zug sei. „Wir müssen jetzt in möglichst vielen Ländern erreichen, dass diese zustimmen und vorgeschobenen Scheinargumenten entgegentreten“, folgerte er. So geht er beispielsweise von 30 Euro Mehrkosten pro Medizinstudent(in) aus, mit denen durch die neue Approbationsordung gemäß den aktuell vorliegenden Entwurf zu rechnen sei. Der Wissenschaftsrat rechne aber mit bis zum Zehnfachen. Auch das Argument, es gebe nicht genügend allgemeinmedizinische Lehrpraxen, ließ der DEGAM-Präsident nicht gelten: „Völliger Unsinn, wir haben derzeit 6.500 akkreditierte Lehrpraxen“, stellte er klar. Auf Nachfrage erklärte er, dass man sukzessive weitere Lehrpraxen aufbauen könne, um dem erhöhten Bedarf an PJ-Plätzen, den die neue Approbationsordnung nach sich ziehen würde, gerecht zu werden. Und auch in Punkto Lehrstühle für Allgemeinmedizin sei man gut vorangekommen.

Eine Einschränkung machte Dr. Beier mit Blick auf Regensburg geltend: „Hier gibt es noch keine Finanzierungsgrundlage für einen allgemeinmedizinischen Lehrstuhl, und es wird nicht erkannt, dass die Allgemeinmedizin das zentrale Gebiet der Versorgung ist.“

Perspektiven für MFA im Praxisteam schaffen

Neben der Ausbildung des Hausärztenachwuchses war die Weiterentwicklung des Berufsbildes der MFA Diskussionsthema. Dr. Beier stellte fest, dass immer mehr Physician Assistants ausgebildet werden, die in Bereiche drängen, wo die zur Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) fortgebildete MFA besser geeignet sei. Er warnte vor einer „Fragmentierung der Behandlung und Verantwortung“. Stattdessen plädierte er dafür, im hausärztlichen Praxisteam Perspektiven für MFA zu schaffen und nannte als Beispiel das Fortbildungsangebot des Bayerischen Hausärzteverbandes zur „Betriebswirtschaftliche Assistentin in der Hausarztpraxis“ (BEAH). Auch eine Akademisierung der hochqualifizierten VERAHs sei eine Möglichkeit, die Attraktivität des Arbeitsplatzes Hausarztpraxis weiter zu steigern.

Mit Bachelor-Studiengang für MFA im Wettbewerb bleiben

„Wir sehen das im Bundesverband genauso“, stimmte Weigeldt zu. Der Kern der Versorgung müsse in der Hausarztpraxis bleiben, statt etwas anderes zu schaffen, brauche man Entwicklungsperspektiven für MFA. Auch Prof. Scherer sprach sich für einen Bachelor-Studiengang für MFA aus und verwies auf die „guten Institute für Pflegewissenschaften, die es seit Jahren schon gibt: „Wir brauchen ein ähnliches Angebot für MFA, um im Kampf um Köpfe im Wettbewerb zu bleiben“, sagte er.

Negativ-Trend: Praxisaufkauf durch Privatinvestoren

Eine Bedrohung der ambulanten Versorgung in der heutigen Form sahen die drei Hausärztevertreter im Eindringen von kapitalgesteuerten Unternehmen in den ambulanten Bereich, die der KVB-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Krombholz im Nachgang konkretisierte: Durch den Aufkauf von Praxen durch Investoren würden die Preise steigen, sodass junge Kolleginnen und Kollegen nicht mithalten könnten. Dies führe zu immer mehr angestellten Ärzten, zumal kapitalgesteuerte Träger medizinischer Einrichtungen im Allgemeinen nicht die Freiberuflichkeit fördern. Auch die Aus- und Weiterbildung komme in solchen Einrichtungen zu kurz, und zu beobachten sei die Konzentration auf lukrative Spezialfelder. Zum Praxisaufkauf durch private Investoren sagte Dr. Krombholz: „Hier steht nicht die Versorgung der Patienten im Mittelpunkt, sondern der gewinnbringende Weiterverkauf.“

Digitalisierung löst Goldgräberstimmung aus

Dr. Beier wies darauf hin, dass auch der Bereich der Digitalisierung im Gesundheitswesen in das Blickfeld von Geschäftemachern gerückt sei. „Bei der Digitalisierung sehen wir Entwicklungen und Dynamiken, die hilfreich und sinnvoll sein können, aber gleichzeitig herrscht eine Goldgräberstimmung, bei der das, was Patienten und Hausarztpraxenh nbraucvhen, nicht im Vordergrund steht. Was wir brauchen, wird nicht gefördert, was wir nicht brauchen, schon. Hier müssen wir aktiv werden.“

 

 

 

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