Allgemeinmedizin: Vielseitig, anspruchsvoll und lohnenswert

 
Dr. Jakob Berger
Prof. Dr. Marco Roos, Lehrstuhlinhaber für Allgemeinmedizin
an der Universität Augsburg, klärt über gängige Vorurteile auf.

Es gibt viele Klischees zu Hausärztinnen und Hausärzten: Hohe Stundenzahl und geringer Verdienst? Eintönige Arbeit? Stimmt alles nicht! Das bewies das gestrige (Online-)Festival der Allgemeinmedizin: Sechs unterschiedliche Referierende führten 380 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterhaltsam und humorvoll durch den Abend und zeigten, dass Allgemeinmedizin alles andere als langweilig ist.

Vielmehr ist dieser Beruf besonders abwechslungsreich, der Verdienst gut und eine Vereinbarkeit mit Familie oder gar wissenschaftlichen Ambitionen gut möglich.

Eine ganz normale Sprechstunde in der Hausarztpraxis: Anspruchsvoll und abwechslungsreich

Wie vielseitig der Hausarztberuf ist, zeigte Kahina Toutaoui, Ärztin in Weiterbildung in Berlin. Ihre Akutsprechstunde am Montag ist in der Regel gut besucht – „von Ohrenschmerzen über geschwollene Knöchel bis hin zu Rückenproblemen, Bauchschmerzen oder Kurzatmigkeit ist alles dabei“, erklärt sie.

Ruben Bernau, Allgemeinmediziner im niedersächsischen Hambergen, hob hervor, dass ein Behandlungsfall in einer Hausarztpraxis eine große Nähe zu anderen Fachgebieten haben kann. So könne jemand mit Knieschmerzen und geschwollenem Knie beispielsweise chirurgisch-orthopädische, internistische oder auch arbeitsmedizinische Berührungspunkte aufweisen, da die Person in ihrem Beruf viel stehen muss. Für ihn ist auch die Nähe zum Patienten und dessen kontinuierliche Begleitung wichtig: „Ich behandle Menschen, mit denen ich in meinem Dorf wohne.“

Typische Vorurteile über Hausärzte und was wirklich dran ist

Hartnäckig halten sich Vorurteile zu Allgemeinmedizinern. Prof. Dr. Marco Roos, Lehrstuhlinhaber für Allgemeinmedizin an der Universität Augsburg, räumte in seinem Vortrag mit gängigen, aber falschen Mythen auf. Auf zwei davon gehen wir hier kurz ein:

Hausärzte arbeiten 60 – 80 Stunden pro Woche? Stimmt nicht!
Tatsächlich arbeiten Hausärztinnen und Hausärzte dem Marburger Bund zufolge im Durchschnitt 50 bis 52 Stunden pro Woche. Dagegen arbeiten 40 Prozent der Ärzte im Krankenhaus 50 bis 60 Stunden und 20 Prozent von ihnen sogar mehr als 60 Stunden pro Woche. Die Annahme, dass Hausärzte 60 bis 80 Stunden wöchentlich arbeiten, ist also eindeutig falsch.

Hausärzte verdienen schlecht? Im Gegenteil!
Ein weiterer typischer Mythos ist beispielsweise, dass Hausärzte schlecht verdienen. Eine Oberärztin im Krankenhaus verdient dem Statistischen Bundesamt zufolge durchschnittlich 90.000 bis 150.000 Euro pro Jahr, „der Gehaltszuwachs ist hier aber nicht mehr so stark wie früher“, so Dr. Roos. Hausärzte hingegen hätten einen Reinertrag von 227.000 Euro im Jahr (ebenfalls vom Statistischen Bundesamt erfasst) – dies lasse sich nicht direkt vergleichen, da davon auch noch Steuern abgingen; „dann ist der Verdienst mit einer Oberärztin im Krankenhaus aber sicher nicht schlechter, tendenziell sogar besser“, konstatiert Dr. Roos.

Das Vorurteil komme vermutlich daher, dass unterschiedliche Facharztgruppen im ambulanten Sektor miteinander verglichen werden, zum Beispiel Hausärzte mit Radiologen. Dass letztere mehr verdienen, stimme zwar, „dafür haben diese aber auch deutlich höhere Investitionskosten wie MRTs und andere große Apparate“. Auch das wirtschaftliche Risiko sei für Hausärzte gering – die Zahl der Insolvenzverfahren pro Jahr liegt dem Statistischen Bundesamt und der Apobank zufolge im unteren zweistelligen Bereich.

Allgemeinmedizin und Familie: Gut vereinbar

Ein wichtiges Thema des Abends war auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sandra B. ist angestellte Fachärztin für Allgemeinmedizin in Potsdam. Sie hat zwei Kinder, ihr Mann arbeitet als Wissenschaftler. Pro Woche arbeitet sie 23 Stunden, sie sagt: „Wenn ihr eine nette Teampraxis findet, könnt ihr eure Sprechstunden individuell aushandeln.“ Sie musste zunächst schauen, welche Stundenzahl gut zu ihr passt. Sie hat neun Wochen Urlaub und meint dazu: „Ich will keinen kurzen high-quality-Urlaub mit meinen Kindern, sondern auch Mal wirklich Zeit mit ihnen beim Kühe füttern verdaddeln – das geht mit neun Wochen Urlaub ganz gut!“

Auch Bernau sieht eine gute Vereinbarkeit gegeben: Seine Frau und er arbeiten jeweils 22 Stunden pro Woche in der Praxis, dazu kommen noch Nachbereitung und Hausbesuche. Am Wochenende müssen sie in der Regel nichts für die Praxis machen. Und Babysitter oder Großeltern brauchen sie selten: „Durch die flexible Zeiteinteilung können wir gut Übergaben machen, damit immer jemand zuhause ist.“

LehrärztInnen in Famulaturen, Praktika und PJ oft entscheidend

„Hausarztmedizin ist toll! Aber man muss sich nicht sofort entscheiden“, meint Kahina Toutaoui. Aber wie kommt man nun zur Allgemeinmedizin – ob bereits entschieden oder nicht? Toutaoui erzählt von ihrem vierwöchigen Blockpraktikum bei einem Hausarzt, bei dem sie das erste Mal Ultraschalls durchführen durfte und das heute noch sehr gerne macht. Dieser habe ihr auch gezeigt, wie man ein Knie richtig untersucht – so lange, bis sie sogar das Knie seiner Frau untersuchen durfte, wie sie schmunzelnd erzählt. „Nach diesem Blockpraktikum habe ich das erste Mal gedacht, dass das ja doch ein interessantes Fach ist.“

Sie habe sich dann weiter informiert – und das können auch die Studierenden. Eine gute Möglichkeit, um die Allgemeinmedizin kennenzulernen, besteht auch im Praktischen Jahr. Ein Tertial absolvierte sie in der Allgemeinmedizin und konstatiert: „In keinem anderen PJ-Tertial durfte ich mich schon wie eine richtige Ärztin fühlen.“ Dafür gebe es außerdem Förderung – die PJ-Tertialförderung. Diese Art der Förderung für Studierende gibt es auch vom Bayerischen Hausärzteverband.

Berufs- und Verbandspolitik wirken unterstützend – auch für Studierende

Hilfreich fand sie zudem die JADE-Regionalgruppen, diese helfen beim Austausch „und man bekommt Bewerbungstipps“, so Toutaoui. JADE steht für Junge Allgemeinmedizin Deutschland. Weitere Unterstützung könne man beim Kompetenzzentraum Weiterbildung Allgemeinmedizin Bayern (KWAB) bekommen. Dort gebe es praxisnahe Fortbildungen und ein Mentoringprogramm für Studierende. Toutaoui verweist außerdem auf den Hausärzteverband, der viele Information bietet – zum Beispiel mit der Seminarreihe „Werkzeugkasten Niederlassung“ und seinem „Leitfaden für angehende Hausärztinnen und Hausärzte“.

Speziell für Hausärztinnen und Hausärzte in spe, die in Bayern studieren, ihre Weiterbildung absolvieren oder sich niederlassen wollen, stellt der Bayerische Hausärzteverband seinen ergänzenden „Leitfaden Bayern kompakt“ zur Verfügung. Mitglieder des Bayerischen Hausärzteverbandes können beide Leitfäden kostenlos über den digitalen Bestellservice des Bayerischen Hausärzteverbandes anfordern. Und warum man schon während des Studiums in eine Fachgesellschaft oder einen Berufsverband gehen könne? „Weil es sinnvoll ist und der Austausch viel Spaß macht“, erklärt Toutaoui abschließend.

Veranstaltung verpasst? Dann kommt zum Nachwuchstag des Bayerischen Hausärzteverbandes am 12. Mai 2022! Tags darauf, vom 13. bis 14. Mai 2022, findet der Bayerische Hausärztetag statt – unter anderem mit Modulen der Seminarreihe „Werkzeugkasten Niederlassung“.

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