Dr. Nadine Schubert: „Die Allgemeinmedizin hat mich von Anfang an interessiert“
Dr. Nadine Schubert hat für ihre Dissertation zum Thema „Die Diagnose der akuten Bronchitis in der Hausarztpraxis – ein unscharfes Konzept mit Folgen?“ den Promotionspreis Allgemeinmedizin in Silber der Stiftung Bayerischer Hausärzteverband erhalten. Ein Interview.
Dr. Nadine Schubert hat für ihre Dissertation zum Thema „Die Diagnose der akuten Bronchitis in der Hausarztpraxis – ein unscharfes Konzept mit Folgen?“ den Promotionspreis Allgemeinmedizin in Silber der Stiftung Bayerischer Hausärzteverband erhalten. Im Interview spricht sie über das wichtigste Ergebnis ihrer Doktorarbeit, warum die Allgemeinmedizin sie schon immer fasziniert hat und wie ihre beruflichen Pläne für die nahe Zukunft aussehen.
Frau Dr. Schubert, wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass Sie mit dem Promotionspreis der Stiftung Bayerischer Hausärzteverband ausgezeichnet werden?
Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, den Promotionspreis zu bekommen. Als die Benachrichtigung mit dem Absender Bayerischer Hausärzteverband ankam, habe ich erst gedacht, es geht um die Einzugsermächtigung für meine Mitgliedschaft (lacht). Nachdem ich den Brief dann geöffnet hatte und sah, um was es eigentlich ging, war ich ganz aus dem Häuschen. Ich habe mich wirklich sehr gefreut.
Sicher eine persönliche Bestätigung – es steckt ja viel Arbeit in einer Dissertation.
Wie sind Sie auf Ihr Dissertationsthema gekommen?
Die Allgemeinmedizin hat mich von Anfang an interessiert. Dieses ursprüngliche Wirken am Patienten hat mich schon früh im Studium fasziniert – auch, weil ich sehr emphatisch bin und unglaublich gerne mit Menschen arbeite. Und ich wusste auch schon früh, dass ich nicht ein Leben lang in Klinikhierarchien arbeiten möchte.
Über den Lehrstuhl für Allgemeinmedizin in Erlangen und Professor Kühlein habe ich die qualitative Forschung kennengelernt, das klang alles sehr spannend. Also habe ich mich für ein Thema aus der Allgemeinmedizin entschieden.
Was zeichnet die Arbeit eines Hausarztes auf dem Land aus?
Das Thema Ihrer Doktorarbeit lautet „Die Diagnose der akuten Bronchitis in der Hausarztpraxis – ein unscharfes Konzept mit Folgen?“ Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste Ergebnis?
Das wichtigste Ergebnis ist für mich, dass die akute Bronchitis ein ganz eigenes, unscharfes Konzept ist, das die Hausärztinnen und Hausärzte im Kopf haben und das mit der Unsicherheit in der hausärztlichen Praxis korreliert. Häufig dient es sogar dazu, dem Behandlungsweg, den sie davor schon im Sinn hatten, einen Namen zu geben. Somit wirkt sich das unscharfe Konzept der akuten Bronchitis möglicherweise auf die Verschreibung von Antibiotika aus. Der Begriff der akuten Bronchitis, das legt meine Untersuchung nahe, ist also möglicherweise sowohl eine Beschreibung für Unsicherheit und gleichzeitig ein Weg, mit der Unsicherheit umzugehen.
Atemwegsinfekte sind doch aber ein häufiger Beratungsanlass in der hausärztlichen Praxis. Und da gibt es Unsicherheiten?
Ja, es ist tatsächlich ganz individuell, wie damit umgegangen wird. Akute Bronchitis hat eine Art Zwischenstellung zwischen grippalem Infekt und Pneumonie, ist in der Literatur aber als hauptsächlich viral klassifiziert, muss also nicht mit Antibiotika behandelt werden. Trotzdem haben Studien gezeigt, dass die akute Bronchitis oft mit Antibiotika behandelt wird. Natürlich wissen Hausärztinnen und Hausärzte, dass Antibiotika nicht gegen Viren helfen. Also muss ein anderes Konzept dahinter liegen, warum sie es dennoch tun.
Für uns hat sich das so dargestellt, dass es diesen unscharfen Bereich gibt zwischen viraler und bakterieller Ursache des Atemwegsinfektes (grippaler Infekt/Pneumonie). Genau für diesen Übergang – wann bin ich in dem Bereich, wo ich mir Sorgen um meinen Patienten mache und wann ist die Unsicherheit so groß, dass ich doch zu einem Antibiotikum tendiere – diente dann das beschriebene Konzept akute Bronchitis, die Therapieentscheidung bezüglich Antibiotika blieb damit für die Hausärztinnen und Hausärzte offen und konnte individuell entschieden werden.Macht der Promotionspreis aus Ihrer Sicht die Allgemeinmedizin sichtbarer an den Universitäten? Welchen Effekt hat die Auszeichnung?
Nachdem ich schon einige Jahre von der Universität weg bin, weiß ich nicht, wie es aktuell ist. Aber ich fand es jetzt im Rahmen meiner Dissertation bezeichnend, dass bei meiner Promotionsprüfung der Prüfer aus der Klinik unterschwellig in Frage gestellt hat, dass Allgemeinmedizin etwas mit Wissenschaft zu tun hat. Ich habe dann losgelegt, und ich hatte den Eindruck, dass der Prüfer ganz überrascht war zu hören, dass Themen aus der Allgemeinmedizin wissenschaftlich angegangen werden können.
Ich denke, dass so eine Auszeichnung oder überhaupt die Stiftung Bayerischer Hausärzteverband dazu beitragen konnten, dass die Sichtbarkeit der Allgemeinmedizin selbst und das Forschen in der Allgemeinmedizin in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Damit zeigt man den Menschen: Allgemeinmedizin ist als Primärmedizin eine Wissenschaft für sich, ein eigenes Fachgebiet, das viel abverlangt und teilweise auch noch wissenschaftlicher angegangen werden darf.Kommt die Wissenschaftlichkeit denn aktuell zu kurz in der Allgemeinmedizin?
Ich glaube, die Allgemeinmedizin ist manchmal gar nicht leicht, in wissenschaftliche Worte zu fassen, weil dazu auch Soft-Skills gehören wie zum Beispiel das Bauchgefühl oder die persönliche Beziehung zum Patienten. Diese Soft-Skills machen unsere hausärztliche Patientenbehandlung aus, ohne diesen Aspekt könnte keiner von uns Allgemeinmedizin machen. Sie machen das wissenschaftliche Arbeiten aber auch schwierig, weil diese Skills so vage sind und man nicht mit Natrium-Kalzium-Transportern und wissenschaftlichen Markern, PCRs oder Sonstigem arbeiten kann. Der Versuch, greifbar zu machen, was keiner so richtig fassen kann, fasziniert mich an der qualitativen Forschung. Bis die Allgemeinmedizin als Wissenschaft für sich in den Köpfen und in der Gesellschaft ankommt, dauert es wohl noch ein bisschen.
Dabei ist es so ein wichtiges und breites Fach. Wie sagte eine Kollegin aus der Psychiatrie neulich: „Allgemeinmedizin? Da muss man ja alles wissen, egal ob Haut, innere Organe oder sonstwas. Das könnte ich ja nicht“. Und genau das macht Allgemeinmedizin eben aus.
Steht für Sie das Berufsziel Allgemeinmedizinerin schon fest?
Ja, nach einem Umweg über das Gesundheitsamt bin ich wieder in der Weiterbildung Allgemeinmedizin. Im Gesundheitsamt habe ich viele gute Erfahrungen gesammelt und war in spannende Themen eingebunden. Schließlich habe ich aber gemerkt, dass ich meine Patientinnen und Patienten vermisse, dass mir das praktische Arbeiten als Ärztin fehlt. Da habe ich beschlossen: Ich spring wieder zurück ins kalte Wasser und setze meine Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin fort. Aktuell bin ich in der Psychiatrie tätig.