"Wir hatten noch nie die Sorge, dass wir das mit der Niederlassung nicht hinkriegen"

Niederlassen oder nicht? Für viele junge Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung stellt sich diese Frage meist recht bald. Die in München niedergelassene Allgemeinmedizinerin Dr. Tanja Goldbrunner gibt im Interview Auskunft über ihren Weg zur Allgemeinmedizin, die Vorteile der Niederlassung und wie man sich am besten darauf vorbereiten kann.


 

 
Dr. Jakob Berger
Dr. Tanja Goldbrunner
Foto: Jelena Moro

Wie sind sie zur Allgemeinmedizin gekommen?

Dr. Goldbrunner: Leider war zu meiner Zeit die Allgemeinmedizin ein total unterrepräsentiertes Fach an den Unis; ich kann mich nur an eine Vorlesung erinnern – in der ging es um Windpocken. Vorher saß ich in der Kardiologie drin und hörte mir spannende Vorträge zu Aortenklappen an. Da habe ich mir dann gesagt: Der Bereich Hygiene kommt nicht in Frage und Allgemeinmedizin ganz sicher auch nicht.
Dann wurde ich schwanger und mit der Betreuung war es schwierig, da alle Verwandten weit weg waren und mein Mann als Musiker viel unterwegs ist. Den Facharzt hatte ich da noch nicht und ich habe dann geschaut, was sich realisieren lässt – das war Allgemeinmedizin. Zuerst war ich etwas erschrocken, aber dann habe ich gedacht; das probiere ich einfach mal aus.

Hat sich Ihre Einstellung zur Allgemeinmedizin verändert?

Dr. Goldbrunner: Als ich dann 2010 meine Weiterbildung in einer Hausarztpraxis fortgesetzt habe, war ich begeistert: Diese Fülle an Beratungsanlässen – man weiß ja nie, womit man als Nächstes konfrontiert wird – und die Tatsache, dass man immer gefordert ist und man eine besondere Beziehung zum Patienten aufbaut; das hat man in der Chirurgie und der Anästhesie gar nicht. Ich fand es nur lustig, dass es dann doch so gut gepasst hat und ich bis heute sehr zufrieden damit bin.
Denn das wirklich Tolle daran ist: Es sind eben Beratungsanlässe und keine vorgefertigten Diagnosen, mit denen jemand zu mir kommt. Und die Patienten kommen mit allem. Dann ist ein Stück weit auch detektivisches Arbeiten gefragt und es gibt super Leitlinien unserer Fachgesellschaft, die einen unterstützen..

Wie kam es dazu, dass Sie und Dr. Meike Tiessen gemeinsam die Praxis im Münchener Westen übernommen haben?

Dr. Goldbrunner: Mir war immer klar, dass ich mich in einer Praxis niederlassen möchte – aber nicht alleine. Als ich dann in einer Praxis in Unterhaching Erfahrungen in der Allgemeinmedizin sammelte, telefonierte ich regelmäßig mit meiner langjährigen Freundin Meike. Die meinte irgendwann: „Du hörst dich so zufrieden an, ich glaube, ich mache auch Allgemeinmedizin. Wartest du auf mich?“. Da auch sie sich niederlassen wollte, war dann klar, dass wir das zusammen machen. Während Meike also ihren Facharzt für Allgemeinmedizin machte, wollte ich eigentlich Erfahrungen in verschiedenen Praxen sammeln. Wegen der Betreuungszeiten ging das aber nicht so gut.

Also bin ich an die Uniklinik der LMU München, da habe ich dann die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin erworben, die ist jetzt – ungeplant – mein zweites Standbein geworden. Und das ist besonders schön, weil ich den Patienten jetzt sowohl in seinem hausärztlichen Setting und in seinem beruflichen Setting sehe. Anschließend haben wir gemeinsam eine Praxis im Westen von München übernommen. Der Standort liegt in der Mitte; Meike pendelt von Augsburg aus zu unserer Praxis, ich aus München heraus.

Welche Vor- und Nachteile sehen Sie bei einer Niederlassung als auch bei einer Anstellung?

Dr. Goldbrunner: Vorteile einer Anstellung sehe ich für mich persönlich keine, ich wollte mich schon immer niederlassen. Für mich überwiegen klar die Vorteile der Niederlassung: Ich mag es, Entscheidungen zu treffen – gemeinsam mit meiner Praxispartnerin. Man kann als Entscheider tatsächlich vieles bei Bedarf relativ kurzfristig umlegen – das ist vor allem wegen den Kindern wichtig. Wir haben beide Kinder und hatten immer ein Auge darauf, wer wann nachmittags da sein muss oder wegen den Kindern woanders hin muss. Von Anfang an waren wir beide vormittags gemeinsam in der Praxis und nachmittags wechseln wir uns ab. In der Klinik war das ganz anders: Da erlebte ich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als viel schwieriger.

Viele schreckt auch die Bürokratie ab – wie sehen Sie das?

Dr. Goldbrunner: Bürokratie und Organisation – diese Begriffe hören sich sperrig an, eröffnen aber sehr viele Möglichkeiten, die Arbeit nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Dafür braucht es Zeit. Gerade am Anfang habe wir beide sehr viel gearbeitet und waren dankbar für das Verständnis unserer Partner. Natürlich sind wir jetzt Geschäftsfrauen, in einem sehr guten Sinne. Und wenn wir jedes Quartal unsere (auch monetären) Erfolge sehen, die Zufriedenheit unserer Patientinnen und Patienten sowie unserer medizinischen Fachangestellten (MFA) – dann bin ich sehr zufrieden.
Erleichternd ist die auch Tatsache, dass wir via VPN problemlos von zuhause arbeiten können. Und: Wir haben tatsächlich viel mehr Urlaub als früher und natürlich alle Möglichkeiten, auf Fortbildung zu gehen oder selbst eine anzubieten. Wir fühlen uns in der Selbständigkeit flexibler als zuvor. Sollten wir beide mal nicht in der Praxis sein können, dann vertritt uns eine Nachbarpraxis – und unsere wunderbaren MFA halten die Stellung. Finanziell läuft es gut; wir hatten tatsächlich noch nie Sorge, dass wir das mit der Niederlassung nicht hinkriegen. Ich finde es ausgesprochen gut so, wie es ist.

Und wie sieht es mit Bereitschaftsdiensten aus?

Dr. Goldbrunner: Bereitschaftsdienste haben wir theoretisch schon, pro Jahr sind das aber nur zwei bis drei. Ich gebe meine Dienste immer in das Poolsystem der KVB. Sollte sich niemand finden, übernehme ich den Dienst natürlich. Bisher musste ich in fünf Jahren aber noch kein einziges Mal einen Bereitschaftsdienst ausführen.

Sie unterstützen bei der AG Werkzeugkasten des Deutschen Hausärzteverbands. Warum ist das so wichtig?

Dr. Goldbrunner: Genau, ich bin Ansprechpartnerin für Süddeutschland und organisiere Werkzeugkasten-Module zur Niederlassung in Bayern. Dieses Fortbildungsformat ist wirklich super, weil man alles Wissenswerte rund um die Niederlassung erfährt, sich austauscht und vernetzt. Eine meiner Sorgen vor der Niederlassung war, dass ich allein in meinen Praxiswänden sitzen würde und wenig von außerhalb mitbekomme. Dank der Vernetzung ist man aber nicht alleine – das hat sich auch durch die Werkzeugkästen super entwickelt.

Was lernen angehende Hausärztinnen und -ärzte durch die Workshops?

Dr. Goldbrunner: Es gibt eine große Bandbreite an Themen, zu denen man sich informieren kann: Von der Praxisfinanzierung über die Sprechstundenorganisation über Gesetze und Vorschriften für Ärzte bis hin zur EBM-Abrechnung und IT in der Hausarztpraxis. Ich referiere sehr gerne Modul 5: „How Not to Go to Prison – oder: Wie Sie sich sicher auf dem Minenfeld der Vorschriften und Gesetze bewegen“. Das hört sich natürlich erstmal schlimm an, denn von den meisten Themen hat man noch nie etwas gehört, muss sie aber erfüllen… Im Modul erhält man ganz pragmatisch eine große Fülle an Praxishilfen und dann wird tatsächlich alles ganz übersichtlich und machbar!

Die Motivation der Teilnehmer ist übrigens jedes Mal sehr groß, die Interaktion bei den Veranstaltungen ist super. Es ist sehr niederschwellig, man ist per Du und meist im selben Alter. Das macht es einfacher. Durch die Vernetzung trifft man unter Umständen zukünftige Praxis“nachbarn“ oder entdeckt Möglichkeiten zur Praxishospitation. Und selbst als erfahrene Referentin nehme auch ich jedes Mal wieder etwas mit.

Was bekommt man bei diesen Workshops, was man anderswo nicht bekommt?

Dr. Goldbrunner: Die Werkzeugkästen geben einem das Rüstzeug für die Niederlassung; sowas lernt man ja in der Regel nicht in der Weiterbildung. Die Idee: man muss nicht alles alleine machen. Dieses Angebot gibt es so nirgendwo sonst, nur beim Deutschen Hausärzteverband und seinen Landesverbänden. Zwar bietet die Kassenärztliche Vereinigung auch entsprechende Seminare an, die Referenten dort sind aber in der Regel selbst keine Niedergelassenen. Wir haben interne Qualitätsstandards und dazu gehört beispielsweise, dass die Referenten selbst nicht länger als fünf Jahre niedergelassen sind, damit eine gewisse Aktualität gewährleistet ist.

Was hat es mit dem geplanten „Bavarian Circle“ auf sich?

Dr. Goldbrunner: Das gibt es bereits bei anderen Landesverbänden und die Idee dahinter ist, dass sich die Teilnehmer an einem etwas abgelegenen Ort treffen, um sich voll auf die Fortbildung einlassen zu können. Anstatt einzelner Module werde gleich vier Module an einem Wochenende präsentiert - das ist sehr intensiv. Teil dieser mehrtägigen Fortbildung ist auch, in Kontakt mit Vertretern der Landesverbände zu kommen. Man erfährt von ihrer berufspolitischen Tätigkeit und begreift, was dank deren Engagement für uns Hausärzte in den letzten Jahren erreicht werden konnte. Das ist nicht nur interessant, sondern motiviert auch immer wieder einzelne Teilnehmer, sich selbst zu engagieren.

 

 

 

 

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