"Man behält sein breites fachliches Spektrum"

Medizinstudent Julia Michler
Dr. Felix Wiest

Herr Dr. Wiest, ursprünglich stammen Sie aus dem oberbayerischen Fürstenfeldbruck. Für Ihr Medizinstudium sind Sie nach Würzburg gezogen. Hier leben und arbeiten Sie bis heute. Ende des Jahres steht Ihre Facharztprüfung für Allgemeinmedizin an. Wollten Sie schon immer Hausarzt werden?

Dr. Felix Wiest: Nein. Während des Studiums faszinierte mich die Chirurgie. Durch die verpflichtende Famulatur im Bereich Allgemeinmedizin bekam ich einen ersten Kontakt mit diesem Fachbereich. Über die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland wurde mir eine Famulaturstelle in Thüringen in der Nähe von Jena vermittelt. Durch die Kollegin Dr. Daffner entdeckte ich die Vielseitigkeit und die fachlichen Freiheiten der Allgemeinmedizin. 

Warum haben Sie sich für ein PJ auf dem Land entschieden? Spielte die Förderung des PJ-Tertials eine Rolle?

Dr. Felix Wiest: Indirekt schon, denn sie nimmt finanziellen Druck. Anders als zum Beispiel Lehramtsstudierende, die im Referendariat ja zumindest etwas verdienen, haben wir keine bis minimale Einkünfte aus unserer Tätigkeit. So konnte ich mir zwischendurch auch mal etwas zum Ausgleich gönnen (lacht).

Und das eigentliche Motiv?

Dr. Felix Wiest: Die positiven Erfahrungen der einmonatigen Famulatur wollte ich über das PJ Tertial weiter vertiefen:
Die enorme fachliche Bandbreite und die besondere Nähe, der erste Ansprechpartner der Patienten zu sein, faszinierte mich. "Man behält sein breites fachliches Spektrum". Denn in einer Allgemeinarztpraxis kommt alles vor von einem eher banalen grippalen Infekt bis zum Herzinfarkt oder Schlaganfall. Manchmal schildert ein Patient auch zunächst nur Symptome, die offensichtlich keine klare Diagnose zu lassen. Hier ist dann Detektivarbeit gefordert und der Blick über den Tellerrand hinaus.

Medizinstudierende im Praktischen Jahr sollen ja den Umgang mit Patienten üben. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Dr. Felix Wiest: Ich bin sofort gut in Arbeitsabläufe eingebunden und ins Team aufgenommen worden. Nach kurzer Zeit durfte ich zum Beispiel schon selbst Anamnese und Diagnostik durchführen. Die Therapie erfolgte selbstverständlich unter ärztlicher Supervision.

Diese Eins-zu-Eins-Betreuung wie Sie sie in den rund vier Monaten bei Dr. Heckel erlebt haben, gilt als einer der wichtigsten Vorteile eines PJ in einer Allgemeinarztpraxis. Welche Art Unterstützung war für Sie besonders wertvoll?

Dr. Felix Wiest: Nicht alle Fälle sind klar und eindeutig wie im Lehrbuch. Insbesondere das Abwägen schwieriger Therapieentscheidungen und die Diskussion der jeweiligen Vor- und Nachteile ist einmalig. Wann kann man so leicht nochmal auf so viel ärztliche Expertise eines erfahrenen Kollegen zurückgreifen?

Wenn Sie zurückblicken, erinnern Sie sich an ein besonders prägendes Erlebnis?

Dr. Felix Wiest: Bei einem Hausbesuch mit meinem Chef sind wir in eine verwahrloste Wohnung gekommen. Mutter und Sohn hatten sich alkoholisiert mal wieder in den Haaren. Hier wird eine „andere“ Medizin benötigt. Diese wird nicht an der Uni und in den Vorlesungen gelehrt. Was macht man jetzt? Das ist das echte Leben.

Was kann man Ihrer Meinung nach ausschließlich während eines PJ-Tertials auf dem Land lernen?

Dr. Felix Wiest: Ganz klar: Selbstständig Entscheidungen zu treffen. Denn speziell beim Hausbesuch geht es ja manchmal um die Frage: Muss der Patient oder die Patientin ins Krankenhaus? Diese Entscheidung muss alleine getroffen werden. In der Klinik hat man zumeist erfahrene Kollegen hinter sich, die man im Zweifelsfall fragen kann. Überhaupt stellt man fest, dass in der Allgemeinarztpraxis ganz anders gearbeitet wird als im Krankenhaus. Die technische Ausstattung in der Klinik wie – Röntgen, CT, Ultraschall oder Labor ist zu jeder Zeit verfügbar. Beim Hausbesuch muss man mit dem arbeiten, was man hat. Das ist die Herausforderung der Allgemeinmedizin und auch das, was sie so reizvoll für mich macht.

Haben Sie weiter Kontakt zu Ihrer Lehrpraxis?

Dr. Felix Wiest: Ja, ich habe dort auch wieder als Assistenzarzt gearbeitet. Das war sehr angenehm, weil ich das Team schon kannte und die Zusammenarbeit sofort gut funktionierte.

Wie Sie sagen, können Sie sich auch vorstellen, in einer Landarztpraxis tätig zu werden. Welche örtlichen Strukturen sind Ihrer Meinung nach grundlegend für die Niederlassung im ländlichen Raum?

Dr. Felix Wiest: Ganz wichtig ist eine gute Infrastruktur. Zum Beispiel auch eine, die sich für junge Familien eignet – Kinderbetreuung, Grundschulen, gute Verkehrsanbindung usw. Das Modell der klassischen Landarztpraxis mit nur einem Dorfarzt als „Einzelkämpfer“ wird von der aktuellen Gesundheitspolitik nicht mehr unterstützt. Gemeinschaftspraxen mit mehreren Ärzten, die sich die Verantwortung teilen, sind auf dem Vormarsch. Sie bieten Lebensqualität durch verbesserte Work-Life-Balance.

Wie könnte aus Ihrer Sicht die Digitalisierung eine Hausarztpraxis im ländlichen Bereich entlasten?

Dr. Felix Wiest: Eine Möglichkeit wäre eine VERA (Versorgungsassistent/in der Hausarztpraxis), die per Videoschalte mit dem Arzt in der Praxis kommunizieren kann und somit gleich beispielsweise die körperliche Untersuchung durchführt. Das spart die verlorene Zeit der Anfahrt für den Arzt. Ein funktionierendes Internet auch in einsamen Gegenden wäre Grundvoraussetzung. Im Hinblick auf die elektronische Patientenakte bin ich gespannt, wie die konkrete Umsetzung aussieht. Wird jeder Arzt seine Medikamentenplan- und Therapieänderungen gleich eintragen, oder wer pflegt diese Akte im Verlauf?

Zu guter Letzt die Frage: Haben Sie ihre Entscheidung für den Beruf des Hausarztes bisher bereut oder können Sie diesen Weg empfehlen?

Dr. Felix Wiest: Bereut habe ich die Entscheidung auf keinen Fall. Man darf sich nicht von der Bürokratie und einzelnen Patienten mit überzogenen Forderungen und Vorstellungen herunterziehen lassen. Vielmehr sollte man sich auf das positive Feedback und das langjährige Vertrauen der Patienten stützen. Denn man ist und bleibt als Allgemeinarzt der erste Ansprechpartner für seine Patienten. Welche andere Fachrichtung bietet dies?

 

Themen in HOME ÜBER UNS SERVICE AKTUELL HZV FORTBILDUNG NACHWUCHS STIFTUNG :

Login Mitgliederbereich:

Login Mitgliederbereich

Suche: