Beschlüsse der Delegiertenversammlung vom 16.05.2025
In einer Reihe von Beschlüssen hat die Delegiertenversammlung des Bayerischen Hausärzteverbandes am 16.05.2025 zu aktuellen berufspolitischen Themen klar Stellung bezogen. Eine Übersicht:
Die Delegierten des Bayerischen Hausärzteverbandes skizzieren im Rahmen eines Leitantrags die aktuellen Herausforderungen des deutschen Gesundheitssystems und fordern Unterstützung bei der Umsetzung der Lösungsstrategien des Bayerischen Hausärzteverbandes und des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes bundesweit (Antrag im Wortlaut am Ende der Übersicht).
Verabschiedet wurde eine "Handlungsempfehlung für eine sichere Medikamentenverordnung in Heimen bzw. beschützenden Einrichtungen“ nach Maßgabe einer Vorlage der AG Inklusive Medizin des Bayerischen Hausärzteverbandes für alle an der Versorgung Beteiligten und die Aufforderung an die neue Bundesregierung, das im Koalitionsvertrag angekündigte iMVZ-Regulierungsgesetz schnell umzusetzen. Grundlage soll dabei die Entschließung des Bundesrates vom 16.06.2023 sein, der nicht nur ein Transparenzregister, sondern darüber hinaus räumliche und versorgungsanteilige Begrenzungen fordert.
In der Verbandsarbeit sollen künftig ferner auf Antrag des Forum Weiterbildung Bayern die Aspekte der Nachhaltigkeit stärker Berücksichtigung finden und dazu ein Konzept für ein nachhaltiges und ressourcenschonendes Wirtschaften erarbeitet und umgesetzt werden. Des Weiteren wurde der geschäftsführende Vorstand des Bayerischen Hausärzteverbandes beauftragt, auf eine stärkere Digitalisierung im Impfwesen in Hinblick auf höhere Durchimpfungsraten hinzuarbeiten und dabei den Erhalt von Impfungen als ärztliche Leistung weiter zu fördern.
Auch fordern die Delegierten die gesetzlichen Krankenkassen in Bayern auf, die bereits veranlassten Regresse bezüglich des Pneumokokkenimpfstoff Apexxnar, Bexsero (Meningokokken B) und RSV, der bereits vor Inkrafttreten der Impfvereinbarung verimpft wurde, zurückzuziehen und sich mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns – wie in anderen KV-Bezirken bereits geschehen – einvernehmlich zum Schutze der hausärztlichen Praxen zu einigen. Darüber hinaus soll der geschäftsführende Vorstand darauf hinwirken, dass die Verwaltungspauschale der HZV-Verträge für Nichtmitglieder signifikant erhöht wird, und eine Strategie entwickeln, die Präsenz des Verbandes in den sozialen Netzwerken zu steigern. In einem weiteren Antrag fordern die Delegierten des Bayerischen Hausärzteverbandes die Bayerische Landesärztekammer auf, zu prüfen, wie die Prozesse für die Erteilung von Weiterbildungsbefugnissen vereinfacht und beschleunigt werden können. Ferner sollen die Qualitätsanforderungen Restmedikationsüberwachung, Medikationsinteraktionsprüfung beim bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP) und Integration der FORTA-Liste gegenüber den Anbietern von Praxisverwaltungssoftware (PVS) formuliert und eingefordert werden. Auch unterstützen die Delegierten des Bayerischen Hausärzteverbandes eine Initiative des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), bundesweit verpflichtende Kurse zur Katastrophenvorsorge einzuführen. Im Mittelpunkt sollen Trainings zur „Ersten Hilfe mit Selbstschutzinhalten“ stehen. Auch die Einführung eines jährlichen nationalen Bevölkerungsschutztages wird befürwortet.
Leitantrag im Wortlaut
Beschlussantrag Nr. 4 der Delegiertenversammlung des Bayerischen Hausärzteverbandes vom 16.05.2025,
vorgelegt durch Dr. Wolfgang Ritter, Dr. Petra Reis-Berkowicz, Dr. Beate Reinhardt, Maria Stich, Dr. Stefan Semmler, Dr. Josef Pömsl, Dr. Dieter Geis, Dr. Markus Beier, Dr. Oliver Abbushi, Prof. Dr. Jörg Schelling
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Betrifft: Leitantrag Bayerischer Hausärztetag 2025
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Die Delegiertenversammlung möge beschließen:
Die Delegierten des Bayerischen Hausärzteverbandes beschließen folgenden Leitantrag:
Das deutsche Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen: Steigende Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung und steigende Versichertenbeiträge
- Fehlende Steuerung der Patientinnen und Patienten bei gleichzeitiger Über- und Unterversorgung
- "Gefühlte" Verschlechterung der medizinischen Versorgung bei Patientinnen und Patienten
- Lange Wartezeiten auf gebietsfachärztliche Termine
- Schwierigkeiten gerade in ländlichen Regionen werden immer größer, eine niedergelassene Ärztin / einen niedergelassenen Arzt zu finden
Unsere Forderungen lauten daher:
Steuerung der Versorgung der Patientinnen und Patienten nur durch hausärztliche Praxen
Das deutsche Gesundheitssystem ist geprägt durch Überkomplexität und Bürokratie. Daraus resultiert eine Überforderung der Patientinnen und Patienten. Zusätzliche Anlaufstellen zur medizinischen Versorgung schaffen neue Schnittstellen in den hausärztlichen Praxen und führen zu einer weiteren Fragmentierung der Versorgung – und dies ohne erkennbare Qualitätsverbesserung. Primärärztliche Koordination und Steuerung ist eine Kompetenz, die ausschließlich im hausärztlichen Setting curricular erworben, aufrechterhalten und vertieft wird. Hausärztliche Praxisteams kennen die Patientinnen und Patienten und ihr soziales Umfeld seit Jahren und bilden die Basis, um die vielfältigen unselektierten Beratungsanlässe in der Primärversorgung zu behandeln und - falls notwendig - die erforderliche gebietsärztliche Behandlung zu koordinieren.
Hausärztlichen Praxen müssen als steuernde wohnortnahe erste Anlaufstelle der Patientinnen und Patienten gestärkt und gefördert werden. Alle primärmedizinischen Angebote müssen gemeinsam mit den Hausärztinnen und Hausärzten entwickelt und in die hausärztlichen Praxen integriert werden. Es darf keine Fragmentierung der Versorgung durch immer neue Schnittstellen geben.
Versorgungssteuerung nur in der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) nach § 73 b SGB V
Versorgungssteuerung bedeutet weit mehr als das Ausstellen einer Überweisung. Steuerung ist eine komplexe Versorgungsaufgabe, die nicht nebenbei erledigt werden kann und die es nicht zum Nullta-rif geben wird. Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) nach § 73 b SGB V vergütet bereits heute gesteuerte Versorgung auf Basis von mehr Pauschalen und schafft so eine faire Honorierung für die zusätzliche Verantwortung der Hausärztinnen und Hausärzte und ihrer Praxisteams in der Versorgung der HZV-Patientinnen und -Patienten. Dieses vertrauensbasierte und unbürokratische Prinzip macht eine funktionierende Steuerung erst möglich. Die HZV steht damit diametral zur Systematik des Kollektivvertrags, der mit seiner Regelungswut im engen Korsett des einheitlichen Bewertungsmaßstabs nicht die Voraussetzungen schaffen kann, die eine steuernde Hausarztpraxis braucht. Daher wird jeder Versuch, ein Primärversorgungssystem im Kollektivvertrag umzusetzen, scheitern. Für derartige Versuche haben wir keine Zeit.
Versorgungssteuerung muss daher weiterhin in der HZV umgesetzt werden. Nur die HZV bietet den notwendigen Entwicklungsraum und die Rahmenbedingungen, in dem die hausärztlichen Praxen den erweiterten Anforderungen einer hausärztlich gesteuerten Primärversorgung gerecht werden können.
Die Delegierten des Bayerischen Hausärzteverbandes fordern daher die Bundesregierung auf, die hausärztliche Patientensteuerung im Gesundheitssystem durch eine Stärkung der HZV als freiwilliges Primärarztsystem zu fördern, etwa indem Anreize über Mittelzuweisungen für Kostenträger geschaffen werden, die eine bestimmte Zahl ihrer Versicherten im selektivvertraglichen, gesteuerten System der HZV versichern.
Die Innovationskraft der HZV für die Gestaltung einer zukunftsfähigen hausärztlichen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger muss besser genutzt und gefördert werden.
Freiwilligkeit vor Pflicht – für Steuerung muss man sich entscheiden können
Patientinnen und Patienten, die sich für die HZV entscheiden, wählen eine verbindliche Steuerung. Diese Entscheidung ist freiwillig. Dass sich Hausärztinnen und Hausärzte sowie Patientinnen und Patienten in freier Entscheidung für eine gesteuerte Versorgung entscheiden, ist ein substanzieller Mehrwert der HZV. Ein verpflichtendes Primärarztsystem nimmt diese Entscheidung sowohl für beide Seiten verbindlich vorweg. Dies kann zu einem Gefühl der Einschränkung und Bevormundung führen. Die HZV macht daher ein Angebot an die hausärztlichen Praxen sowie Patientinnen und Patienten, sich in eine gesteuerte Versorgung im Sinne einer besseren Versorgung zu begeben.
Die HZV ist Prävention auf allen Ebenen. Die HZV zeigt höhere Impfquoten, frühere Erkennung und Behandlung von Krankheiten, eine niedrigere Fünf-Jahres-Sterblichkeit und eine geringere Anzahl unkoordinierter Facharztkontakte und Inanspruchnahme des Notdienstes. Damit übernehmen an der HZV teilnehmende Patientinnen und Patienten Verantwortung für ihre Gesundheit und leisten einen Beitrag zu einer weniger morbiden und damit resilienteren Gesellschaft. Für diesen Schritt müssen Anreize geschaffen werden. Krankenkassen, die die HZV fördern, müssen davon profitieren.
Versorgungssteuerung muss in der HZV als freiwilliges Primärarztsystem gestärkt und mit Anreizen für Kassen sowie Patientinnen und Patienten versehen werden.
Abschaffung des Hausarztvermittlungsfalles und Stärkung der Facharztverträge im Rahmen der HZV
Die im Rahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) zum 1. Januar 2023 neu eingeführte Konstellation des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) zur Regelung zum Haus-arztvermittlungsfall hat sich in der Praxis nicht bewährt. Sie ist umgehend durch eine geeignete Neuregelung zu ersetzen, die dem Willen des Gesetzgebers, nämlich eine schnellere Verfügbarkeit von Facharztterminen zu gewährleisten, auch tatsächlich gerecht wird. Die vom Gesetzgeber gewollte schnellere Terminverfügbarkeit bei niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzten hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil. Die Hausärztinnen und Hausärzte erleben einen immer schwerer werdenden Zugang ihrer Patientinnen und Patienten zu einer fachärztlichen Weiterbehandlung. Die zum 1. Januar wirksam gewordenen Änderungen am TSVG müssen durch eine wirksame Gesetzesänderung ersetzt werden.
Eine moderne, effiziente und patientenorientierte Gesundheitsversorgung braucht klare Strukturen – und eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung. Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) hat gezeigt, dass eine verbindliche Steuerung durch die Hausarztpraxis die Versorgungsqualität erhöht, Doppeluntersuchungen vermeidet und die Patientenzufriedenheit steigert. Dieses Prinzip lässt sich sinnvoll in den fachärztlichen Bereich erweitern – allerdings nicht innerhalb der fragmentierten Regelversorgung, sondern durch gezielte, selektivvertragliche Kooperationen.
Hausarzt-Facharzt-Verträge können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die sich trotz des sog. Haus-arztvermittlungsfall weiter verschärfenden Probleme der Patientinnen und Patienten, außerhalb von Notfällen einen zeitnahen Facharzt-Termin zu bekommen, zu lösen. Sie schaffen die Grundlage für eine strukturierte Mit- und Weiterbehandlung, die medizinisch notwendig, gut koordiniert und transparent ist. Sie ermöglichen verbindliche Kommunikationswege, abgestimmte Behandlungspfade und klare Verantwortlichkeiten – insbesondere bei chronischen oder komplexen Erkrankungen. Damit wird nicht nur die Behandlungsqualität gestärkt, sondern auch die Effizienz des Gesamtsystems erhöht.
In einigen Regionen Deutschlands bestehen bereits erfolgreich umgesetzte Hausarzt-Facharzt-Verträge – derzeit auf freiwilliger Basis und häufig nur als regionale Initiativen. Um das Potenzial dieser Versorgungsform bundesweit zu heben, braucht es eine gesetzgeberische Förderung: etwa durch gezielte finanzielle Anreize, rechtliche Klarstellungen oder die Einbettung in bestehende Rahmenregelungen nach § 140a SGB V. Nur wenn hausärztliche Praxen – eingebettet in eine HZV-Struktur – gezielt mit kooperierenden Fachärztinnen und Fachärzten zusammenarbeiten können, lässt sich die patientenzentrierte Versorgung konsequent weiterentwickeln. Der Gesetzgeber ist gefordert, hierfür die rechtlichen und finanziellen Grundlagen zu schaffen.
Innovationskraft der HZV nutzen und HÄPPI als innovatives Versorgungskonzept fördern
Die Gesundheitsversorgung steht vor großen Herausforderungen. Insbesondere der demographische Wandel sorgt für einen gesteigerten Versorgungsbedarf bei gleichzeitig sinkender Arztzeit. Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) hat sich insbesondere auch darin bewährt, Versorgungsbedarf zu erkennen und durch vertragspartnerschaftliche Zusammenarbeit neue Lösungen in die Versorgung zu bringen. Mit dem HÄPPI-Konzept liegt ein Angebot an Politik und hausärztliche Praxen, aber auch an die Patientinnen und Patienten vor, wie die hausärztliche Versorgung mit Delegation, Digitalisierung, Patientenzentrierung und Kooperation gestärkt werden kann.
Im Vergleich zu anderen Pilotprojekten, die eher kurzfristige Leuchttürme sind, deren Finanzierbarkeit in der Regelversorgung regelmäßig nicht gegeben ist, werden wir es in der HZV schaffen, ein innovatives Versorgungsmodell in der Fläche umzusetzen.
Die hausärztliche Versorgung muss aktiv gestärkt und die Innovationen der HZV für eine zukunftsfähige Gestaltung der Versorgung sowie das HÄPPI-Konzept müssen gefördert werden. Hierfür braucht es eine Verzahnung von Fördermitteln mit der HZV.
Umsetzung Masterplan 2020 jetzt
Für ein Hausärztliches Primärversorgungssystem benötigen wir anteilig mehr Hausärztinnen und Hausärzte. Mit dem Masterplan 2020 liegt nunmehr seit Jahren ein fertiges Konzept in der Schublade, dessen Umsetzung bislang an der ausreichenden Finanzierung durch den Bund bzw. die Bundesländer scheitert. Der Masterplan 2020 ist umgehend durch den Bund und / oder die Bundesländer mit den notwendigen Finanzmitteln auszustatten und umzusetzen.