Neuer Lehrstuhl für Allgemeinmedizin in Regensburg schlägt Brücke zwischen Praxis, Forschung und Lehre
Seit 1. Oktober 2025 ist Prof. Dr. Patricia Schartau Leiterin des neuen Zentrums für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Regensburg und der Universität Regensburg. Im Interview stellt sie ihren Hintergrund, ihren Blick auf die neue Aufgabe und ihre Ziele vor.
Frau Prof. Schartau, Sie leiten seit 1. September das neue Zentrum für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Regensburg und der Universität Regensburg. Ihre vorherigen akademischen Stationen umfassen das University College London, das King‘s College London sowie die Universities of Oxford und Cambridge. Zuletzt hatten Sie eine Professur in der Abteilung für Primärversorgung und Bevölkerungsgesundheit am University College London – inwieweit können Sie Ihre bisherigen Erfahrungen in Regensburg einbringen?
Prof. Schartau: Neben meiner Professur war ich in einer hausärztlichen Praxis im Zentrum Londons tätig, hatte nationale Rollen in der Nachwuchsförderung inne und fungierte als Direktorin des Kompetenzzentrums für allgemeinmedizinische Weiterbildung in London. Die in diesen vielseitigen Rollen gesammelten Kenntnisse und Erfahrungen möchte ich nun in meiner Tätigkeit in Deutschland, speziell in Regensburg, einbringen.
Bezüglich einer Praxistätigkeit habe ich beispielsweise in einem Primärarztsystem gearbeitet, das – trotz der Unterschiede zum deutschen Gesundheitssystem – auch hier künftig an Bedeutung gewinnen dürfte. Darüber hinaus konnte ich Einblicke in die Digitalisierung hausärztlicher Praxen gewinnen sowie in die direkte Umsetzung innovativer Versorgungskonzepte aus der Forschung in die praktische Versorgung.
Besonders prägend war meine Tätigkeit in einer interprofessionellen hausärztlichen Gemeinschaftspraxis, in der Physician Assistants, Apotheker/innen, Sozialarbeiter/innen, und weitere Gesundheitsberufe eng zusammenarbeiteten. Dabei habe ich erlebt, wie sich die Rolle der Hausärzte und Hausärztinnen zunehmend von der alleinigen Versorgung hin zur koordinierenden und supervisierenden Rolle innerhalb des Teams entwickelt – ein Thema, das auch für die zukünftige Hausarztpraxis in Deutschland zentral sein wird.
Gibt es noch weitere Beispiele?
Prof. Schartau: In meiner Forschungstätigkeit habe ich eine ausgeprägte methodologische und fachliche Expertise aufgebaut und gelernt, zukunftsorientierte Forschungsstrategien zu entwickeln. Dabei war mir der enge Bezug zur Praxis stets ein zentrales Anliegen.
Darüber hinaus habe ich wichtige Erfahrungen in der Entwicklung von Forschungsinfrastrukturen auf regionaler und nationaler Ebene gesammelt – Kenntnisse, die sich auch in deutsche allgemeinmedizinische Forschungsnetzwerke einbringen lassen.
Eine weitere Stärke liegt in meiner Erfahrung mit dem Aufbau und der Nutzung von Routinedaten für Forschungszwecke, die mir helfen wird, auch mit den hiesigen Routinedaten effizient zu arbeiten.
Schließlich verfüge ich über umfassende Erfahrung in der allgemeinmedizinischen Nachwuchsförderung – von der studentischen Ausbildung über die Facharztweiterbildung bis hin zur Niederlassungsbegleitung.
Auf dieser Grundlage habe ich bereits zahlreiche konkrete Ideen für die Weiterentwicklung des Standorts Regensburg sowie des neuen Medizincampus Niederbayern entwickelt.
Eine Erfahrung ist auch, dass eine enge Verzahnung von akademischer Forschung, praxisnaher Patientenversorgung und innovativer Lehrmethoden unabdingbar ist.
Genauso viel Wissen und Erfahrung, wie ich mitbringe, kann ich auch von meinen deutschen Kolleginnen und Kollegen lernen. Gemeinsam können wir dieses kollektiv erworbene Wissen nutzen, um insbesondere die allgemeinmedizinische Versorgungsforschung und die Nachwuchsförderung unter Einbezug der lokalen, regionalen und nationalen Strukturen voranzubringen.
Das neue Zentrum für Allgemeinmedizin will einen zentralen Anlaufpunkt für die Nachwuchsförderung im hausärztlichen Bereich schaffen sowie einen innovationsstarken Standort für allgemeinmedizinische Präventions- und Versorgungsforschung aufbauen. Es geht also auch um die hausärztliche Praxis der Zukunft. Wie wird sie aussehen?
Prof. Schartau: Die zentralen Themen einer Praxis der Zukunft sind meiner Einschätzung nach innovative Strukturen und Organisationsformen, die Digitalisierung, eine interprofessionelle Teamarbeit, eine bedarfsgerechte regionale Versorgung, der bewusste Umgang mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen, die Präzisionsprävention sowie eine patientenorientierte Versorgung.
Die Hausarztpraxis der Zukunft könnte sich zunehmend als integrales, kommunales Gesundheitszentrum etablieren. Einzelpraxen werden voraussichtlich seltener, während Gemeinschaftspraxen aufgrund von einem oft breiteren Leistungsspektrum und besserer Zugänglichkeit an Bedeutung gewinnen.
Darüber hinaus wird die Hausarztpraxis digitaler und mit anderen Akteuren des Gesundheitssystems stärker vernetzt sein. Die elektronische Patientenakte, die Telemedizin, mobile Praxiskonzepte und auch KI-gestützte Tools zur Triage von Patienten sowie zur Diagnose- und Entscheidungsunterstützung könnten den Alltag prägen.
Mit Unterstützung der Digitalisierung wird auch die Präzisionsprävention sich weiter etablieren: Neben allgemeinen Empfehlungen können so auch individuell personalisierte Maßnahmen zur Prävention umgesetzt werden – eingebettet in eine starke nationale und regionale Präventionsstrategie. Dabei spielt auch die aktive Einbindung der Patientinnen und Patienten, bei denen dies möglich ist durch z.B. Apps und Wearables, eine Rolle.
Hausärztinnen und Hausärzte werden künftig verstärkt in interprofessionellen Teams zusammenarbeiten und ihr Aufgabenfeld sich, wie schon am Anfang des Interviews erläutert, verändern. Umweltfaktoren wie Klimaeinflüsse, Luftqualität und Lärm sowie Aspekte der Nachhaltigkeit – zum Beispiel Ressourcenschonung, Energieeffizienz, Nachhaltigkeit bei Arzneimittelauswahl – gewinnen in der Hausarztmedizin und dem ganzen Gesundheitssystem zunehmend an Bedeutung.
Worauf muss man bei der Digitalisierung achten?
Prof. Schartau: Bei der digitalen Transformation ist der kontinuierliche Austausch mit Patientinnen und Patienten sowie mit den relevanten Akteuren im Gesundheitssystem von zentraler Bedeutung, da die Veränderungen allen zugutekommen sollen. Digitale und analoge Versorgungspfade müssen dabei unter Berücksichtigung regionaler Strukturen intelligent miteinander verknüpft werden, um gesundheitliche Ungleichheiten nicht zu verstärken.
Die Digitalisierung kann die Versorgung unterstützen, muss aber mit der Beziehungsebene verzahnt werden: Es muss genügend Raum für Vertrauen, Zuwendung und die partizipative Entscheidungsfindung geben - mit Fokus auf das individuelle Krankheitserleben. Hausärztinnen und Hausärzte werden auch künftig eine zentrale und unersetzliche Rolle einnehmen.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Kontinuität in der Hausarztversorgung, Empathie und Kontextwissen wichtige Prädiktoren für positive Gesundheitsoutcomes und hohe Patientenzufriedenheit sind.
Welche Rolle spielt die akademische Allgemeinmedizin auf diesem Weg?
Prof. Schartau: Nationaler und internationaler Erfahrungsaustausch ist entscheidend, um das Rad nicht neu zu erfinden, sondern von bewährten Ansätzen zu lernen und diese gezielt in regionale Gesundheitssysteme zu übertragen. Eine starke akademische Allgemeinmedizin, die innovative Versorgungsmodelle erforscht und evaluiert – unter Einbezug vielfältiger Akteure im Gesundheitssystem und regionaler Strukturen – und gleichzeitig den Nachwuchs auf die zukünftigen Herausforderungen der Hausarztmedizin vorbereitet, ist hierbei unverzichtbar.
Ziel des neuen Zentrums für Allgemeinmedizin ist es auch, dem Ärztemangel entgegenzuwirken, die ärztliche Versorgung vor Ort sicherzustellen und die gesamte Region zu stärken – warum steht das explizit auf Ihrer Agenda?
Prof. Schartau: Das Thema ist von hoher Relevanz: Zwar ist laut der Bayerischen Landesärztekammer die Gesamtzahl der Ärztinnen und Ärzte in Bayern im vergangenen Jahr auf einen Höchststand gestiegen, gleichzeitig sinkt jedoch die Zahl der niedergelassenen Mediziner. Besonders spürbar ist dies bei Hausärztinnen und Hausärzten in Ostbayern, vor allem in ländlichen Regionen.
Warum ist der Standort Regensburg eine gute Wahl?
Prof. Schartau: Regensburg bietet ideale Voraussetzungen zur Förderung des allgemeinmedizinischen Nachwuchses. Die Stadt punktet mit zentraler Lage und einem starken medizinischen Umfeld, welches die Nachwuchsförderung aktiv unterstützt. Darüber hinaus überzeugen die Oberpfalz und Niederbayern durch hohe Lebensqualität– Faktoren, die Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Personal langfristig an die Region binden.
Ein weiteres Plus ist das umfangreiche Netzwerk allgemeinmedizinischer Lehrpraxen in Ostbayern, wo Studierende von höchst motivierten Fachärzten und Fachärztinnen ausgebildet und angehende Hausärztinnen und Hausärzte weiterqualifiziert werden, sodass der Hausärzteberuf positiv in den Fokus rückt.
Das von mir geleitete neue Zentrum für Allgemeinmedizin versteht sich als Brücke zwischen Praxis, Forschung und Lehre – und zugleich als akademisches Zuhause für regionale Forschungs- und Lehrpraxen. Dieses Zentrum und seine geplante Weiterentwicklung werden den Beruf des Hausarztes bzw. der Hausärztin noch stärker als attraktive Karriereoption ins Rampenlicht rücken.
Welche Rolle spielen dabei die Förderprogramme der Stiftung Bayerischer Hausärzteverband?
Prof. Schartau: Die Förderprogramme der Stiftung Bayerischer Hausärzteverband tragen maßgeblich dazu bei, Nachwuchs für den Hausarztberuf zu gewinnen und langfristig eine flächendeckende sowie wohnortnahe medizinische Versorgung in Bayern sicherzustellen.
Das Kernziel der Förderprogramme in Bayern ist es, künftigen Ärztinnen und Ärzten den Weg in die Hausarztpraxis zu erleichtern. Studierende werden bereits früh an dieses facettenreiche Fachgebiet herangeführt und kontinuierlich gefördert, was sich positiv auf ihre spätere Berufswahl auswirken kann und die Nachwuchsförderung stärkt.
An dieser Stelle möchte ich dem Bayerischen Hausärztinnen und Hausärzteverband meinen herzlichen Dank aussprechen, der sich unermüdlich für die Schaffung meiner Professur eingesetzt hat und sich in Bayern für eine starke akademische Allgemeinmedizin engagiert.
Was haben Sie sich für die ersten 100 Tage vorgenommen?
Prof. Schartau: In den ersten 100 Tagen geht es vor allem darum, die organisatorische und strukturelle Grundlage für das neu gegründete Zentrum für Allgemeinmedizin zu legen, ein starkes und zukunftsfähiges Team aufzubauen und die Lehre für das unmittelbar beginnende Semester sicherzustellen.
Parallel dazu beginnen wir, die Allgemeinmedizin stärker ins Curriculum zu verankern, unser bereits starkes Lehrpraxennetzwerk auszubauen und den Standort Regensburg in das BayFoNet, das Bayerische Forschungsnetzwerk in der Allgemeinmedizin, einzubinden – denn ein erstes Forschungsprojekt steht unmittelbar bevor.
Worauf freuen Sie sich besonders?
Prof. Schartau: Ich freue mich, in diesem Semester die ersten Studierenden an der Universität Regensburg für die Allgemeinmedizin zu begeistern und als Mentorin sowie Betreuerin tätig zu sein.
Besonders gespannt bin ich auf den Austausch mit Hausärztinnen und Hausärzten der Region und die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus der Allgemeinmedizin sowie anderen Fachbereichen. Ich habe viele Ideen für das neu gegründete Zentrum für Allgemeinmedizin. Gleichzeitig muss ich mir selbst den Rat geben, den ich auch meinen Mentees mitgebe: Die bevorstehende Aufgabe ist ein Marathon, kein Sprint. Auf diesen Marathon freue ich mich jedoch sehr!