Neues Datengesetz der EU: „Gläserner Patient mit Namen drauf“

Stephan Pilsinger
"Mit nur wenigen Daten, die auch Außenstehenden bekannt sein können, 
kann ich einen bestimmten Patienten aus der Masse der Gesundheitsdaten
herausfiltern, die im EHDS gespeichert werden sollen", warnt
Dr. Marc Metzmacher.

„Der EHDS, so wie er jetzt geplant ist, wird erhebliche Auswirkungen auf uns alle haben – egal ob Ärzte, Psychotherapeuten oder Patienten“, kommentiert Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, den Verordnungsentwurf der EU-Kommission „über den europäischen Raum für Gesundheitsdaten“, kurz EHDS, der derzeit im EU-Parlament beraten wird.

EDHS darf keinen Mehraufwand in den Praxen auslösen

Nach dem Entwurf der EU-Verordnung werden Ärztinnen und Ärzte sowie alle anderen Gesundheitsberufe verpflichtet, „alle Daten über ihre Behandlungen in online abrufbaren, vereinheitlichen Patientenakten zu speichern“. Den Praxen dürfe daraus aber kein zusätzlicher Aufwand entstehen, fordert Dr. Hofmeister und sagt: „Eine Doppelstruktur parallel zu nationalen Lösungen lehnen wir ab.“

Ähnlich argumentiert auch der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt: „Der Europäische Gesundheitsdatenraum wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn er Patienten und Ärzten deutliche Vorteile bietet. Ärzte haben nicht die Zeit für einen Nebenjob als Datenlieferanten für Forscher, Politiker und Entwickler von Produkten und Algorithmen. Die Übertragung eines Patientengesprächs oder einer Untersuchung in strukturierte Datensätze kostet Zeit, die für den Patientenkontakt fehlt und somit der Gesundheitsversorgung schadet.“

Größtes Problem: Der Datenschutz

Die Umsetzung in der Praxis und der damit verbundene Aufwand ist auch für Dr. Marc Metzmacher, Vorsitzender der AG Digitalisierung im Bayerischen Hausärzteverband und Bezirksvorsitzender Mittelfranken, ein Kritikpunkt. Viel schwerer wiegt für ihn jedoch, dass durch das aktuelle Konzept für den EDHS sensiblen Patientendaten nicht mehr geschützt sind. So sieht der Verordnungsentwurf derzeit vor, dass die Daten nicht nur EU-weit für Behandlungen abrufbar sein sollen, sondern in einer wie auch immer ausgestalteten anonymisierten Form für Forschungsprojekte zur Verfügung stehen. Eine Zustimmungsklausel oder ein Widerspruchsrecht für Patientinnen und Patienten ist in dem EU-Entwurf nicht vorgesehen.

Nach der derzeitigen Rechtslage gilt in Deutschland die sogenannte Opt-In-Regelung, wonach Betroffene der Speicherung ihrer Daten ausdrücklich zustimmen müssen. Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht dagegen vor, dass für die Speicherung auf der ePA die sogenannte Opt-Out-Regel gelten soll, Patienten als widersprechen müssen, wenn ihre Daten nicht gespeichert werden sollen.

Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient steht auf dem Spiel

„Nach deutscher und prinzipiell auch nach europäischer Rechtsauffassung muss der Patient Herr seiner Daten bleiben. Bislang konnten sich unsere Patientinnen und Patienten darauf verlassen, dass das, was in der Praxis gesagt und diagnostiziert wird, auch in der Praxis bleibt, es sei denn, sie stimmen der Weitergabe dieser Informationen zu. Aber wenn der EHDS in seiner aktuell geplanten Form kommt, ist dieses Selbstverständnis Geschichte. Langfristig wird das einen Vertrauensverlust bei den Patientinnen und Patienten zur Folge haben“, befürchtet Dr. Metzmacher. „Die Frage ist doch, was ich als Patient meinem Arzt noch anvertrauen darf, wenn ich nicht weiß, wo beispielsweise die Diagnose einer psychischen Erkrankung, eines Diabetes oder einer Abhängigkeit in der Vergangenheit am Ende auftauchen.“

Ähnlich sieht man das bei KBV und Bundesärztekammer. „Auch wenn wir die Ziele des EHDS generell begrüßen, darf sich ein solcher Datenraum nicht negativ auf die Versorgung hierzulande auswirken. Das vertrauensvolle Arzt-Patientenverhältnis sowie die ärztliche Schweigepflicht sind hohe Güter, die wir unter keinen Umständen aufs Spiel setzen dürfen. Deshalb sprechen wir uns unter anderem für eine Opt-Out-Lösung für Patientinnen und Patienten aus“, stellt Dr. Hofmeister klar.

Auch BÄK mahnt besseren Datenschutz an

BÄK-Präsident Dr. Reinhardt fordert ebenfalls einen besseren Datenschutz für die Patientinnen und Patienten: „Das schlimmste Szenario aber wäre, wenn Patienten aus Angst vor dem Missbrauch ihrer Gesundheitsdaten nicht mehr ihren Arzt aufsuchen würden. Der EHDS muss sich das Vertrauen und die Akzeptanz der Patienten und der Ärzte erst verdienen. Dies erfordert auch den Einsatz geeigneter technischer Mittel, um Sicherheit und Widerstandsfähigkeit zu gewährleisten.“

In Deutschland sollen die Daten der Patienten im Klartext, also mit Namen, Adresse und allen ärztlichen Befunden, an das Forschungsdatenzentrum FDZ Gesundheit als nationale Zugangsstelle übermittelt werden. Dort wird auf Antrag entschieden, ob und welche Daten pseudonymisiert oder anonymisiert für Forschungszwecke weitergegeben werden. „Über die Art und die Qualität des anzuwendenden Pseudonymisierungs- beziehungsweise Anonymisierungsverfahrens ist nichts bekannt“, warnt das IT-Magazin Heise.de und kommt zu dem Schluss: „Von ärztlicher Schweigepflicht und Patientengeheimnis ist kaum noch die Rede.“ Auch ist nicht geregelt, wie weit der Begriff „Forschungsprojekt“ ausgelegt wird, also inwieweit zum Beispiel Pharmaunternehmen im Rahmen ihrer Marketingrecherchen ebenfalls Zugriff bekommen.

Gesundheitsdaten nicht wirklich anonymisierbar

Alarmiert ist auch der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Thomas Petri, der es fraglich sieht, ob genetische Daten oder bildgebendes Material überhaupt anonymisierbar seien. „Sie sind es nicht“, stellt Dr. Metzmacher klar. „Mit nur einigen wenigen Daten, die auch Außenstehenden bekannt sein können, kann ich einen bestimmten Patienten aus der Masse der Gesundheitsdaten herausfiltern, die im EHDS gespeichert werden sollen“, ist er sicher. „Nicht umsonst müssen Teilnehmende an medizinischen Studien ihr Einverständnis zur Verwertung ihrer Daten geben. Mit dem EHDS wird der gläserne Patient Realität - mit Namensschildchen drauf!“

Wissenschaftliche Verwertbarkeit erhobener Daten fraglich

Die wissenschaftliche Verwertbarkeit der Daten, wie sie jetzt gesammelt werden sollen, bezweifelt der Digitalisierungsexperte des Bayerischen Hausärzteverbandes zudem. „Um wissenschaftlich damit arbeiten zu können, müssen Gesundheitsdaten standardisiert erhoben werden – das ist hier ja nicht der Fall.“ Sein Verdacht: „Die Begründung, mit der über den EHDS in nie dagewesenem Ausmaß Gesundheitsdaten abgegriffen werden sollen, nämlich die Erleichterung wissenschaftlichen Arbeitens, ist in meinen Augen vorgeschoben. Verwerten lassen sich solche Daten vor allem sehr gut von Pharmaindustrie und Versicherungsgesellschaften.“

Debatte über EHDS weitgehend hinter verschlossenen Türen

Obwohl es ein so wichtiges und einschneidendes Thema ist, verläuft die Debatte über den EHDS weitgehend hinter verschlossenen Türen, wie der bayerische Landesdatenschutzbeautragte Petri gegenüber dem IT-Magazin Heise.de kritisierte: „Es gibt keine politische Diskussion, die im Licht der Öffentlichkeit stattfindet. Zugleich ist der Lobbydruck auf die Kommission und auf die Mitgliedsstaaten gewaltig.“

Dr. Metzmacher jedenfalls versichert, dass er in seiner Praxis am Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung festhalten werde und er sich keinesfalls zum Lieferanten für sensible Patientendaten machen lasse – „auch wenn das im Extremfall die Rückkehr zur Dokumentation auf Papier bedeutet – ganz schön befremdlich für jemanden, der seit 2001 in seiner Praxis voll digitalisiert arbeitet“.

 

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