„Die Kosta ist aus dem Nichts zu einem festen Begriff geworden“

Dr. Dagmar Schneider hat die Koordinierungsstelle Allgemeinmedizin in Bayern, kurz KoStA, aufgebaut und geprägt. Ende Februar verabschiedet sie sich in den Ruhestand. Im Interview lässt sie die teils mühsamen Anfänge noch einmal Revue passieren, erzählt, was sie angetrieben hat und welche Faktoren die KoStA zu einer Erfolgsgeschichte gemacht haben.

Frau Dr. Schneider, wenn Sie zurück auf 2011 blicken: Was hat Sie motiviert, die Leitung der neu gegründeten Koordinierungsstelle Allgemeinmedizin zu übernehmen?

Medizinstudent Julia Michler
Dr. Dagmar Schneider bei einem Erfahrungsaustausch der
Weiterbildungsverbünde im November 2023

Dr. Schneider: Ende 2010 stand für meinen Mann und mich fest: Die wirtschaftliche Situation in einer Hausarztpraxis hat sich verändert und wir müssen uns ein zweites Standbein suchen. Ich bin dann im Bayerischen Ärzteblatt auf die Anzeige „Nachwuchsführungskräfte gesucht“ gestoßen. Da stand: „Wenn Sie Ihre Fähigkeiten zum Wohl Ihrer Kolleginnen und Kollegen einsetzen wollen“. Der Satz hat mich dazu gebracht, mich zu bewerben.

…und Sie haben die Stelle bekommen.

Dr. Schneider: …obwohl mir klar war: „Nachwuchsführungskraft“ bin ich nicht mehr. Aber das hat den damaligen Hauptgeschäftsführer der BLÄK Dr. Rudolf Burger nicht abgeschreckt. Ich hatte dann eine halbe Stelle hier und habe anfangs noch viel in der Praxis gearbeitet.

Sie waren also die erste an Bord der KoStA?

Dr. Schneider: Genau, die KoStA gab’s ja damals noch nicht, und ehrlich gesagt, wusste damals auch keiner so richtig, was das eigentlich sein soll. Es gab 2010 einen Beschluss im Rahmen der Vereinbarung zur Förderung der Weiterbildung gemäß § 75a SGB V 2010, dass alle Bundesländer Koordinierungsstellen für Allgemeinmedizin einrichten sollten. Hier in Bayern wurde die Koordinierungsstelle an der Kammer angesiedelt, das ist nicht überall so. In Baden-Württemberg zum Beispiel ist die Koordinierungsstelle bei der KV.

Es gehört auch nicht überall der Hausärzteverband zu den Trägern, oder?

Dr. Schneider: Nein, ich glaube, das ist nirgends so außer in Bayern. Was wir als großen Vorteil hatten – und das ist dem ehemaligen Kammerpräsidenten Dr. Max Kaplan zu verdanken – ist, dass wir im Gegensatz zu Koordinierungsstellen in anderen Bundesländern eine eigene Einrichtung als KoStA mit zwei halben Stellen bekommen haben.

Wie ging es weiter?

Dr. Schneider: Gesetzliche Grundlage war, Weiterbildungsverbünde aufzubauen. Ich hatte damals keine klare Vorstellung davon, was das eigentlich ist, das musste ich mir alles erst mal erarbeiten. Sehr geholfen hat Dr. Jost Steinhäuser, inzwischen Professor und Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin in Lübeck. Er hat die Verbundweiterbildung plus in Baden-Württemberg aufgebaut. Den habe ich einfach mal angerufen. Man muss sich das vorstellen, da ruft eine Frau Schneider aus Bayern an, die er nicht kannte, und fragt ihn alles Mögliche, und er hat sein Wissen zu hundert Prozent geteilt. Das hat man selten, dafür bin ich ihm unglaublich dankbar. Nachdem ich verstanden hatte, was Weiterbildungsverbund heißen soll, habe ich dann mit dem Aufbau von Weiterbildungsverbünden in Bayern begonnen – was zu Anfang nicht leicht war.

Auf welche Schwierigkeiten sind Sie gestoßen?

Dr. Schneider: Ich kam mir oft vor wie ein Teppichverkäufer. Ich lief überall hin und sagte: „Übrigens, es gibt da ein super Projekt gegen den Nachwuchsmangel: Weiterbildungsverbund – Weiterbildung aus einem Guss, und wir hoffen, dass die jungen Leute dann in der Region des Weiterbildungsverbundes 'kleben bleiben' – willst du nicht mitmachen“, und oft hieß es dann „nein“ und Tür zu. Aber ich habe immer wieder angeklopft. Bei einer Veranstaltung wurde ich mal vorgestellt von einem Chefarzt mit den Worten: „Das ist die Frau Schneider, die nie lockerlässt und sich immer wieder meldet wegen eines Weiterbildungsverbunds.“ Ich habe Freunde und Bekannte, ganz gleich ob Mediziner oder nicht, angesprochen und gefragt: Gäbs bei euch nicht eine Möglichkeit für einen Weiterbildungsverbund? Oft bin ich dann über verschlungene Wege doch an interessierte Ansprechpartner gekommen. Nach vier Monaten waren es schon 14 Weiterbildungsverbünde, ein Jahr später 34. Es ging dann rasch bergauf, wobei jetzt eine „Sättigung“ erreicht ist.

Sie sagten im Vorgespräch, Ihr Ziel sei ein Weiterbildungsverbund pro Landkreis gewesen. Haben Sie das erreicht?

Dr. Schneider: Ja, das war so. 2018 hatten wir 82 Weiterbildungsverbünde. Aktuell gibt es noch 76 Weiterbildungsverbünde in Bayern. Wir sind ja jetzt nicht mehr im Aufbau, inzwischen geht’s um den Erhalt. Wir mussten irgendwann feststellen, dass manche der Verbünde einfach nicht mehr liefen, aus den verschiedensten Gründen. In solchen Fällen versuchen wir zu „reanimieren“, fahren hin, führen motivierende Gespräche. Manchmal funktioniert‘s, manchmal auch nicht. Dann bieten wir an, den Verbund ruhen zu lassen und von der Homepage der KoStA zu nehmen mit der Option, ihn jederzeit wieder zum Leben zu erwecken.

Gibt’s denn Weiterbildungsverbünde, die wieder zurückgekommen sind?

Dr. Schneider: Ja, die gibt es. Manchmal fand sich wieder jemand, der für neuen Schwung gesorgt hat, oder Verbünde haben sich zusammengelegt. Dadurch mindert sich die Anzahl der Verbünde natürlich auch, aber die Verbundweiterbildung in der Region ist weiter gewährleistet – und darauf kommt es ja an.

Wie aufwändig ist die Betreuung bestehender Weiterbildungsverbünde – sind das Selbstläufer?

Dr. Schneider: Nein, überhaupt nicht. Es ist schon so, dass die Gründung eines Weiterbildungsverbundes aufwendig ist. Aber jetzt dieses Dranbleiben, schauen, woran es liegt, wenn aus einem Verbund keine Rückmeldung mehr kommt oder viel erzählt wird und nichts bei rumkommt, ständig den Kontakt halten, im Notfall auch hinfahren, das kostet fast genauso viel Zeit und Aufwand. Im Zuge der neuen Weiterbildungsordnung beispielsweise hatten viele Probleme mit ihrer Befugnis. Dann muss man hinfahren und Verständnis wecken dafür, dass die Neubearbeitung aller Befugnisse in Bayern extrem aufwändig ist und Zeit braucht. Oft können wir motivieren und bei der Neubeantragung Hilfestellung geben. Da ist eine Mitarbeiterin von aktuell sechs voll mit beschäftigt.

Aber es sind inzwischen neben Aufbau und Betreuung der Weiterbildungsverbünde auch noch weitere Aufgaben auf die KoStA zugekommen.

Dr. Schneider: Ja, das sind vor allem die SemiWAM®. Die Weiterbildungsverbünde sind ja im Prinzip eine strukturelle Verbesserung der Weiterbildung. Ich hatte mir aber auch eine inhaltliche, qualitative Verbesserung zum Ziel gesetzt. Auch dazu hatte ich einen guten Austausch mit Jost Steinhäuser, der in Baden-Württemberg Thementage für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung organisiert hat. Aufbauend darauf habe ich in Kooperation mit anderen Experten ein Seminarprogramm aufgestellt und beim Gesundheitsministerium um Unterstützung angefragt. Wenn ich sage, dass ich Personen und Institutionen dankbar für ihre Unterstützung bin, dann gehört das Bayerische Gesundheitsministerium dazu. Ich bin dort auf großes Interesse und Entgegenkommen gestoßen, und von 2014 bis 2017 hat das Staatsministerium die SemiWAM® finanziert und damit ermöglicht.

Und danach?

Dr. Schneider: 2017 wurde das Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin Bayern, das KWAB, neu gegründet und eine obligate Aufgabe der Kompetenzzentren ist, ein Seminarprogramm für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung anzubieten. Da es das mit den SemiWAM® schon gab, wäre es Unsinn gewesen, eine zweite Schiene aufzubauen. Und Prof. Dr. Marco Roos, der Leiter des KWAB, war ja bei der Entwicklung der SemiWAM® von Anfang an maßgeblich dabei, er hat sie quasi mitgeprägt. Er hat dann gesagt: „OK, Weiterleitungsvertrag an die KoStA, die dann die SemiWAM® im Auftrag des KWAB durchführt.“ Finanziert werden die SemiWAM® also seither vom KWAB.

Wer war eigentlich alles beteiligt an der Konzeption der SemiWAM®?

Dr. Schneider: Das Konzept haben wir in einer großen Runde erarbeitet. Da waren der Bayerische Hausärzteverband und die KVB als Träger dabei, die Universitäten, die Junge Allgemeinmedizin. Es ging erstmal um den Namen, um organisatorische Fragen wie Länge der Seminare, Wochentage, Kosten – worüber wir lange diskutiert haben. Für die Bezeichnung stand der damalige BLÄK-Hauptgeschäftsführer Dr. Burger Pate. Denn eigentlich war die Idee, die Veranstaltungen Seminartage Weiterbildung Allgemeinmedizin zu nennen, was uns aber zu lang erschien. Dr. Burger warf die Abkürzung in die Runde, die es dann geworden ist. In weiteren Sitzungen ging es um die inhaltliche Ausgestaltung, da waren beispielsweise Dr. Ernst Engelmayr (ehemaliger Fortbildungsbeauftragter des Bayerischen Hausärzteverbands) und, wie schon gesagt, Dr. Marco Roos, damals noch am Institut für Allgemeinmedizin in Erlangen und heute Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin in Augsburg, dabei. Von Dr. Steinhäuser kam der Tipp, thematisch mit Rückenschmerz, Kinder und Haut anzufangen – „das geht immer“. Und so war’s dann auch.

Inzwischen sind’s aber mehr Themen…

Dr. Schneider: Wir haben ein 5-Jahresprogramm mit vier „großen“ Themen pro Jahr, also 20 Themen in fünf Jahren, von denen sich keines wiederholt. Ein Thema wird dabei einen Tag lang unter hausärztlichen Aspekten von Hausärztinnen und Hausärzten beleuchtet. Am Anfang habe ich mir bekannte Hausärztinnen und Hausärzte gefragt, ob sie als Referierende in den SemiWAM® tätig sein wollen. Die meisten haben zugesagt und ihre Praxiserfahrung mit eingebracht. Mit der Zeit sind aber auch Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, die unsere SemiWAM® besucht haben, selbst zu Dozierenden geworden. Inzwischen sind die meisten Referierenden tatsächlich ehemalige SemiWAM®-Teilnehmende.

Wo liegen die Veranstaltungsorte?

Dr. Schneider: Angefangen haben wir in München, nach und nach sind Nürnberg, Würzburg, Regensburg und jetzt auch Augsburg hinzugekommen. Zu jedem Thema gibt es an jedem Veranstaltungsort einen oder mehrere Termine beziehungsweise auch mehrere Gruppen. In der Corona-Zeit haben wir mit Online-Seminaren angefangen und hatten nach der Corona-Zeit Schwierigkeiten, die Teilnehmenden wieder in unsere Präsenzveranstaltungen zu bekommen. Dabei bieten Präsenzveranstaltungen so viel mehr als Online-Seminare, den Austausch, das Informelle. Es haben sich zum Beispiel schon Lerngruppen gebildet in unseren SemiWAM®, und Fragen wie „kennst du einen guten Weiterbilder“ stellt man nicht im Online-Seminar oder antwortet darauf. Aber nachdem online eben gewünscht ist, machen wir jedes Thema nun auch einmal online. Da sind die Anmeldezahlen mit 100 und mehr Teilnehmenden enorm hoch.

Einige Mitarbeitende des Bayerischen Hausärzteverbandes kennen Sie von Nachwuchsveranstaltungen und auch am Nachwuchstag des Bayerischen Hausärzteverbandes waren Sie regelmäßig vertreten. Ein weiteres Aufgabenfeld?

Dr. Schneider: Genau, die Öffentlichkeitsarbeit kommt auch dazu. Wir sind zum Beispiel bei Nachwuchsmessen und bei Veranstaltungen an den Universitäten vertreten. Und wo auch immer es Gelegenheiten gibt, die KoStA bekannt zu machen, treten wir auf.

Neben den Verbünden, den SemiWAM® und der Öffentlichkeitsarbeit ist unsere Beratungstätigkeit noch ein weiteres, wichtiges Standbein. Wir machen eine Art Mentoring von der KoStA aus. Zu vielen Fragestellungen werden wir angerufen und begleiten angehende Allgemeinmediziner durch die Weiterbildung. In den zurückliegenden 13 Jahren habe ich viele von Anfang bis Ende der Weiterbildung begleitet und bei Problemen auch immer wieder motiviert. Ich erinnere mich besonders an eine Ärztin in Weiterbildung, die immer wieder verzweifelt war, hinschmeißen wollte und sagte “ich schaff das nicht“, die ich immer wieder habe aufbauen können. Oft kam sie in solchen Krisen sogar auf Rat ihrer Kinder zu mir. Heute ist sie Fachärztin für Allgemeinmedizin, so etwas freut mich schon. Andere haben Klagen am Hals oder ähnliche teils existentielle Probleme, auch dafür haben wir immer ein offenes Ohr.

Wenn Sie jetzt auf Ihre 13 Jahre KoStA zurückschauen, was würden Sie sagen, war Ihr größter Erfolg?

Dr. Schneider: Dass die KoStA zu einer relevanten Größe geworden ist, auch bundesweit, und jeder dieses Wort KoStA kennt. „Ruf die KoStA an, die sind für dich da“. Natürlich macht mich das auch ein bisschen stolz, dass wir jetzt 76 Weiterbildungsverbünde haben und die SemiWAM® die Weiterbildung qualitativ verbessern, aber die Überschrift ist, dass die KoStA aus dem Nichts jetzt zu einem festen Begriff geworden ist.

Wenn Sie in die Zukunft schauen, wo sehen Sie künftige Baustellen der KoStA?

Dr. Schneider: Baustellen ist vielleicht nicht das richtige Wort, eher Aufgaben und Möglichkeiten. Ein Beispiel wäre eine stärkere Präsenz in den sozialen Medien, es gibt aber sicher noch viele andere, die sich erst entwickeln müssen. Auf jeden Fall ist es auch weiterhin eine zentrale Aufgabe der KoStA, die Weiterbildungsverbünde kontinuierlich zu begleiten und weiterzuentwickeln. Wenn sich die Bedürfnisse der Ärztinnen und Ärzte oder andere Rahmenbedingungen ändern, müssen vielleicht die Strukturen grundsätzlich angepasst werden.

Haben Sie ein Beispiel?

Dr. Schneider: Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung wollen heute meist keinen festen Rotationsplan für fünf Jahre, sie wollen sich nicht so festlegen. Sie möchten vielmehr Optionen haben und einen festen Ansprechpartner, mit dem sie die Rotationen immer bei Bedarf besprechen können. Wichtig ist für sie nur die Gewissheit, in fünf Jahren alle nötigen Kompetenzen erworben zu haben – bei der Reihenfolge und Dauer der jeweiligen Weiterbildungsabschnitte möchten sie flexibel bleiben. Es braucht also nicht nur einen anfänglichen Ansprechpartner, der einen Rotationsplan entwickelt, sondern einen kontinuierlichen Begleiter. Ganz wesentlich ist natürlich auch eine hohe Qualität der Weiterbildung. Und mit veränderten Rahmenbedingungen meine ich die kommende Krankenhausreform, die sicher auch die Arbeit der KoStA tangieren wird und deshalb eine künftige Aufgabe sein wird.

Die letzten Jahre haben Sie sich in Vollzeit und immer mit großem Engagement in die KoStA eingebracht. Wie geht es für Sie persönlich nach Ihrem Ausscheiden Ende Februar weiter?

Dr. Schneider: Also erst einmal plane ich, mindestens drei Monate nichts zu planen. Ich muss das alles erst mal sacken lassen und in der neuen Situation ankommen. Ich möchte vor allem nichts mehr machen, wo ich verbindlich eingebunden bin. Ich habe auch schon einige Ideen, aber die verrate ich jetzt noch nicht.

 

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