Dr. Markus Beier: „Wir müssen zusammenstehen und solidarisch sein.“

Im Interview beantwortet Dr. Markus Beier, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes, die drängendsten Fragen der Patienten rund um die Ausbreitung von COVID-19-Infektionen. 

Dr. Markus Beier
Dr. Markus Beier

Die Corona-Pandemie hat unser Leben dramatisch geändert. Viele Menschen haben Angst. Was raten Sie als Hausarzt?

Dr. Markus Beier: „In rund 80 Prozent aller Fälle verläuft eine Erkrankung zwar weitestgehend harmlos, aber diese Menschen sind trotzdem hoch ansteckend und übertragen das Virus. Gerade bei alten und chronisch kranken Patienten kann eine Corona-Infektion einen sehr schweren Verlauf nehmen und sogar tödlich sein. Auch unser sehr gutes Gesundheitssystem läuft Gefahr, bei einer Pandemie mit tausenden von Patienten an seine Grenzen zu kommen und zu kollabieren. Die Lombardei, wo das gerade passiert, ist nur ein paar hundert Kilometer von uns entfernt. Solche dramatischen und fürchterlichen Szenen, die sich dort abspielen, können wir nur verhindern, wenn wir die Geschwindigkeit des Ausbruchs verlangsamen. Und das geht nur, wenn wir unser bisheriges Leben radikal ändern und unsere sozialen Kontakte massiv einschränken, zumindest für eine gewisse Zeit.“

Wie sollen sich Patienten verhalten, die befürchten, sich mit Coronavirus infiziert zu haben?

Dr. Markus Beier: Erstens: Zunächst nicht in Panik ausbrechen. Bei den Symptomen Fieber und Halsschmerzen handelt es sich, zumindest aktuell, noch in den allermeisten Fällen um einen grippalen Infekt oder um eine Influenza, also um eine richtige Grippe, die aber ebenfalls schwerste Verläufe nehmen kann. Wie hoch die Dunkelziffer für CoViD 19 ist, ist reine Spekulation und wird regional wohl auch stark schwanken. Doch selbst wer an Corona erkrankt ist, sollte bedenken, dass die allermeisten Menschen die Krankheit gut überstehen. Zweitens: Ab sofort jeden Kontakt (zumindest näher als 2 Meter) mit anderen Menschen vermeiden. Dies bedeutet auch, dass man auf gar keinen Fall direkt in eine Praxis oder die Notaufnahme eines Krankenhauses gehen sollte. Stattdessen nimmt man telefonisch mit seinem Hausarzt Kontakt auf oder ruft den Ärztlichen Bereitschaftsdient unter 116 117 an. Im Rahmen einer intensiven Befragung wird dann von Experten geprüft, ob die Symptome den Verdacht auf eine Corona-Infektion erhärten und ein Test sinnvoll ist. Denn auch hier können sich ja die Empfehlungen und die Notwendigkeit von Tag zu Tag ändern.

Warum ist es so schlimm, wenn man direkt in eine Praxis geht? Das machen andere Patienten mit ansteckenden Krankheiten doch auch.

Dr. Markus Beier: Corona ist weitaus ansteckender als zum Beispiel eine Influenza. Wenn ein Patient mit Corona in eine Praxis kommt und der Arzt ihn ohne entsprechenden Schutz untersucht, bedeutet dies, dass die Praxis in eine 14tägige Quarantäne muss, also von Amts wegen geschlossen wird. Wenn das bei mehreren Praxen in einer Region passiert, bricht die medizinische Versorgung zusammen, so wie das zum Teil in Heinsberg in NRW der Fall war. Wir haben noch andere Patienten, die dringend von uns versorgt werden müssen. Und schon jetzt haben wir zu wenige Hausärztinnen und Hausärzte, insbesondere auf dem Land. Es ist also zutiefst unsozial, mit einem Corona-Verdacht einfach in eine Praxis oder Notaufnahme zu laufen, statt zum Telefon zu greifen.

Es gibt aber Patienten, die sich beschweren, unter der 116 117 erst nach vielen Versuchen durchgekommen zu sein.

Dr. Markus Beier: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bereitschaftsdienstes arbeiten bis zur Belastungsgrenze. Außerdem werden die Kapazitäten laufend ausgebaut. Die Ungeduld kann ich menschlich nachvollziehen, sie ist aber unbegründet. Die Patienten leiden vielleicht an Fieber und Halsschmerzen, es liegt aber in der Regel kein lebensbedrohlicher Notfall vor. Aufgrund der massiven Nachfragen nach Tests und der begrenzten Kapazitäten vergehen sowieso mehrere Tage, bis das Ergebnis vorliegt. Deshalb spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Testung sofort, in ein paar Stunden oder in den nächsten Tagen erfolgt, zumal der Patienten sich sowieso in häuslicher Quarantäne aufhalten soll. Wer sich heute testen lässt und ein paar Tage später ein negatives Ergebnis erhält, kann sich schon kurz nach dem Test infiziert haben und in Wahrheit längst positiv sein. Deshalb ist es viel wichtiger, sich selbst und seine Mitmenschen zu schützen. Neben einer guten Handhygiene und den richtigen Nieß- und Hustenetiquette gehört dazu eben auch das Vermeiden möglichst aller sozialen Kontakte. Das fängt bei Massenveranstaltungen an, die mittlerweile Gott sei Dank alle abgesagt sind, und hört bei der Familienfeier oder dem Firmen-Meeting auf. Und vielleicht sollte jeder Bürger auch sein Anspruchsverhalten überdenken. In der Lombardei müssen Ärzte ihre Patienten sterben lassen, weil es nicht genügend Beatmungsgeräte gibt. Diesen verzweifelten Menschen, die ihre auswegslose Lage bei vollem Bewusstsein mitbekommen, reicht man dann ein Handy, damit sie sich von ihren Angehörigen verabschieden können. Und hier beschweren sich einige, weil der Bereitschaftsdienst nicht schnell genug das Telefon abhebt.

Soll man dann überhaupt noch testen?

Dr. Markus Beier: In der ersten Phase einer Epidemie machen Tests Sinn. Als bei einer Firma im Landkreis Starnberg vor Wochen der erste Corona-Fall auftrat, ist es den Gesundheitsbehörden gelungen, alle Personen zu ermitteln, die sich möglicherweise angesteckt haben. Sie wurden isoliert und getestet, um zu erfahren, ob sie möglicherweise ebenfalls Personen angesteckt haben könnten. So ist es sehr schnell gelungen, diesen Ausbruch sofort im Keim zu ersticken. Jetzt sind wir in einer ganz anderen Situation, wo jeden jeden anstecken kann. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hat dieser Tage erklärt, man habe die Kapazität an Corona-Tests in Bayern von 1500 auf jetzt 3000 pro Tag erhöht. Wollte man jetzt die gesamte Bevölkerung Bayerns durchtesten, würde man dafür immer noch 12 Jahre benötigen. Sprich: Massentests sind in der jetzigen Phase der Pandemie für die eigentlichen Aufgaben der Versorgung in dieser Weise wenig sinnvoll.

Also überhaupt keineTest mehr?

Dr. Markus Beier: Doch. Patienten mit schweren Symptomen müssen getestet werden, um festzustellen, an was sie erkrankt sind, ob zum Beispiel eine Corona-Infektion vorliegt oder eine Influenza, die aber ebenfalls lebensbedrohlich sein kann. Nur so haben wir eine Chance, diese Menschen optimal zu versorgen. Gleichzeitig müssen die Ärzte und die Pflegeteams in den Krankenhäusern engmaschig getestet werden, um zu verhindern, dass es hier zu einer Übertragung kommt.

Was wünschen Sie sich von den Kollegen, von den Patienten und von der Politik?

Dr. Markus Beier: In keiner Hausarztpraxis in Bayern ist derzeit ein normaler Betrieb möglich. Alle Kolleginnen und Kollegen arbeiten bis zum Umfallen, um neben dem Kampf gegen die Corona-Pandemie auch unsere normalen Patienten, die häufig ebenfalls an schwersten Erkrankungen leiden, zu versorgen. Ich habe sehr großen Respekt, was da von der Hausärzteschaft und den Praxisteams geleistet wird. Mein großer Dank geht deshalb an alle Kolleginnen und Kollegen und vor allem an unser Praxispersonal, also an die vielen engagierten MFAs, VERAHs und BEAHs. Von den Patienten wünsche ich mir, dass sie auch selbst auf sich aufpassen. Gerade Kinder und Jugendliche sollten derzeit keinen Kontakt zu den Großeltern haben. Familienfeiern kann man auch verschieben, weil keiner etwas davon hat, wenn daraus schlimmstes Leid resultiert. Passen Sie auf sich auf, aber verlieren Sie nicht den Mut. Gemeinsam werden wir diese Krankheit besiegen. Wir müssen zusammenstehen und solidarisch sein. Und dazu gehört eben auch, dass jeder die Selbstdisziplin aufbringt, jetzt Sozialkontakt zu vermeiden. Ein Staat kann nicht alles regeln. Uns schützen müssen wir Bürgerinnen und Bürger auch selbst.

Und von der Politik?

Dr. Markus Beier: Über den Bayerischen Hausärzteverband, die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns und die Landesärztekammer stehen wir Hausärztinnen und Hausärzte in engem und ständigem Kontakt mit der Politik und den Krisenstäben. Die Maßnahmen, die dort beschlossen worden und werden, sind einschneidend, aber unverzichtbar. Natürlich treibt uns weiter am meisten die fehlende Schutzkleidung und fehlende Desinfektionsmittel um. Dennoch gibt es eine Reihe von Punkte, über die wir später mit der Politik sprechen müssen, strukturelle Anpassungen in der Pandemieprävention, immer größer werdende Nachschubprobleme bei wichtigen Medikamenten etc.. Aber jetzt gilt erst einmal nur eins: Wir müssen alle an einem Strang ziehen – Ärzte, Politiker und die Vertreter der Gesundheitsbehörden, aber auch die Bürgerinnen und Bürger.

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