„Diphtherie wieder mehr auf dem Radar haben“
Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) und die Bayerische Landesarbeitsgemeinschaft Impfen (LAGI) haben eine neue Handreichung für Ärzteschaft und MFA zum Thema Diphtherie erarbeitet. Im Interview nennt Dr. Markus Frühwein, stellvertretender Bezirksvorsitzender München des Bayerischen Hausärzteverbandes, der sich auch als Vorstandsmitglied der Bayerischen Gesellschaft für Immun-, Tropenmedizin und Impfwesen sowie als Vorstandsmitglied im Forum Impfen e.V. engagiert, die wichtigsten Aspekte für die Hausarztpraxis. Klar ist für ihn: Hausärztinnen und Hausärzte sollten die wieder häufiger auftretende Erkrankung bei bestimmten Symptomen und Konstellationen im Hinterkopf behalten.
Welche Bedeutung hat die neue Handreichung von LGL und LAGI zu Diphtherie für Hausarztpraxen?
Dr. Frühwein: Diphtherie ist lange Zeit nur sehr selten aufgetreten, seit dem Jahr 2000 hatten wir deutschlandweit nie mehr als 30 Fälle pro Jahr. Das heißt, die meisten Kolleginnen und Kollegen werden noch nie einen Fall in der Praxis gehabt haben. Jetzt ist ein - wenn auch mit 171 Fälle im vergangenen Jahr überschaubarer - Anstieg zu verzeichnen, vorwiegend bei Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien. Da sollte man bei entsprechender Symptomatik, vor allem im Umfeld von Geflüchteten, die Diphtherie wieder mehr auf dem Schirm haben – auch von Seiten der Patienten.
Diphtherie ist ein typisches Beispiel für das Präventionsparadoxon: Je besser die Prävention durch Schutzimpfungen funktioniert, desto mehr entsteht der Eindruck, diese Prävention sei nicht notwendig, und die Krankheit selbst mit ihren Symptomen verblasst in der Wahrnehmung der Menschen.
Wann sollten in der Hausarztpraxis die Alarmglocken schrillen, dass ein Fall von Diphtherie vorliegen könnte?
Dr. Frühwein: Man unterscheidet im Wesentlichen zwei Krankheitsbilder, die allerdings auch gemeinsam auftreten können. Bei der Hautdiphtherie sind es vor allem die klassischen Hautläsionen, die wie ausgestanzt wirken und schmierige Beläge aufweise, die einen aufhorchen lassen sollten, vor allem, wenn der Patient gerade aus einem Endemiegebiet geflüchtet ist oder dort in Urlaub war. Auch der Kontakt zu Haus- oder Nutztieren, die den Erreger C. ulcerans übertragen können, der als Auslöser einer Hautdiphtherie in Frage kommt, ist ein wichtiger Hinweis.
Für die deutlich seltenere, aber auch gefährlichere Respiratorische Diphtherie ist eine Tonsilitis mit einer Pseudomembran, also einem fest haftenden weißlich-bräunlichen Belag, ein Alarmsignal, vor allem, wenn süßlicher Mundgeruch, Fieber und eine so genannte Bull Neck-Lymphknotenschwellung dazukommen. Bei einer fortgeschrittenen Respiratorischen Diphtherie ist häufig auch eine Gaumensegellähmung zu beobachten. Wenn die geschilderten Symptome bei Geflüchteten und Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren auftreten, sollte man immer auch an eine Diphtherie denken und schnell reagieren.
Welche Diagnosemaßnahmen stehen in der Hausarztpraxis zur Verfügung?
Dr. Frühwein: Wie schon beschrieben, handelt sich hier in erster Linie um eine klinische Diagnosestellung mit Begutachtung der Symptome und Betrachtung des Umfelds, indem sich der Patient bewegt. Bei Verdacht auf eine Hautdiphtherie erfolgt der Nachweis durch einen Wundabstrich, wobei es sinnvoll ist, auch gleich einen Rachenabstrich mit zu machen, da beide Krankheitsbilder ja auch nebeneinander auftreten können. Wichtig ist dabei, das Labor vorab über den Verdacht auf Diphtherie zu informieren, weil zum Nachweis der Diphtherie bestimmte Kulturmedien benötigt werden.
Da Diphtherie eine meldepflichtige Erkrankung ist, wird dabei das Laborbudget übrigens nicht belasten, angesetzt wird die dafür vorgesehene Ausnahmekennziffer 32006.
Was ist, wenn die klinische Diagnosestellung den Verdacht auf eine Respiratorische Diphtherie ergibt?
Dr. Frühwein: Weist alles auf eine Respiratorische Diphtherie hin, sollte man den Patienten sofort ins Krankenhaus einweisen, schon allein deshalb, weil zur Behandlung, mit der unverzüglich begonnen werden muss, die Antitoxingabe gehört, die aufgrund der möglichen Begleiterscheinungen immer stationär erfolgen sollte. Auf das Ergebnis des Abstrichs, der dann im Krankenhaus gemacht wird, kann man ohnehin nicht warten, denn je länger mit der Antitoxingabe gewartet wird, desto mehr steigt das Mortalitätsrisiko. Beim Anfordern des Krankenwagens sollte man natürlich darauf hinweisen, dass es um einen Patienten mit Diphtherieverdacht geht, damit Infektionsschutz-Vorbereitungen getroffen werden können.
Welche Maßnahmen sollten Hausärztinnen und Hausärzte im Verdachtsfall zum Infektionsschutz des Praxisteams sowie des Patientenumfelds ergreifen?
Dr. Frühwein: Im Prinzip die gleichen, die wir jetzt von der Corona-Pandemie gewohnt sind: Schutzanzug, Handschuhe und Schutzmaske. Den Patienten sollte man natürlich sofort absondern in einem separaten Raum und hinterher gründlich desinfizieren.
Der Patient selbst sollte sich zu Hause auch isolieren, um niemanden anzustecken, und es empfiehlt sich, bei allen Kontaktpersonen, soweit möglich, den Impfstatus zu überprüfen. Das RKI empfiehlt nach der Grundimmunisierung im Säuglingsalter im 2., 4. und 11. Lebensmonat die erste Auffrischimpfung mit 5 bis 6 Jahren und die zweite Auffrischimpfung zwischen 9 und 16 Jahren. Danach ist für Erwachsene alle 10 Jahre einer Auffrischimpfung empfohlen, gemeinsam mit der Tetanus-Impfung.
Wie sicher wirkt die Impfung?
Dr. Frühwein: Bei bakteriellen Erkrankungen bieten Schutzimpfungen allgemein einen sehr hohen Schutz vor Ansteckung, so auch die Impfung gegen Diphtherie. Hier liegt der Erkrankungsschutz bei annähernd 100 Prozent.
Was ist mit ungeimpften Kontaktpersonen? Macht es Sinn, nach dem Kontakt mit einem Erkrankten noch zu impfen?
Dr. Frühwein: Nein, das wäre zu spät und könnte im Fall einer Ansteckung den Ausbruch der Diphtherie nicht mehr verhindern. Da wartet man am besten ab, ob es zu einer Erkrankung kommt, und impft dann nach der Genesung. Denn eine durchgestandene Diphtherie schützt nur kurze Zeit vor erneuter Ansteckung.
LGL-Diphtherie-Broschüre (mehrsprachig)