„Ländliche Heilkunst: Ein Blockpraktikum, das meine Sicht auf die Allgemeinmedizin verändert hat“

Yannick Stohldreier studiert im 9. Semester Medizin an der LMU in München. Gefördert von der Stiftung Bayerischer Hausärzteverband, verließ er zwei Wochen lang täglich die Landeshauptstadt, um in der Allgemeinarztpraxis Herbert Ehrl in Wolnzach in die hausärztlicher Versorgung hineinzuschnuppern. 

Medizinstudent Cedric Kremer
Yannick Stohldreier fühlte sich sichtlich wohl im Ärzteteam der
Hausarztpraxis Dr.Ehrl.

Yannick Stohldreier studiert im 9. Semester Medizin an der LMU in München. Nachdem er vor seinem Studium als Bundesfreiwilliger im Rettungsdienst auch in einer ländlichen Region gearbeitet und die Herausforderungen der medizinischen Versorgung dort kennengelernt hat, wollte er wissen, wie es um die Situation der Allgemeinmedizin auf dem Land bestellt ist. Gefördert von der Stiftung Bayerischer Hausärzteverband, verließ er zwei Wochen lang jeden Tag die Landeshauptstadt, um in der Allgemeinarztpraxis Herbert Ehrl in Wolnzach in die hausärztlicher Versorgung in einer ländlichen Region hineinzuschnuppern - und wurde mit einigen neuen Erkenntnissen belohnt, wie sein Bericht zeigt.

Motivation für Bewerbung der Förderung des Blockpraktikums „auf dem Land“

Bevor ich angefangen habe Medizin zu studieren, habe ich als Bundesfreiwilliger im Rettungsdienst auch in einer ländlichen Region gearbeitet. Aus meiner Erfahrung ist mir die Problematik der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen sehr vertraut. Der Mangel an qualifiziertem Personal und die Abmeldung von Kliniken sind mir allzu bekannt. Im Gegensatz dazu gibt es in städtischen Gebieten eine Fülle von hochwertigen medizinischen Einrichtungen mit kurzen Anfahrtswegen.
Vor diesem Hintergrund interessiert mich besonders, wie es um die Situation der Allgemeinmedizin auf dem Land bestellt ist. Mit welchen Herausforderungen haben Allgemeinmediziner und Allgemeinmedizinerinnen in ländlichen Regionen zu kämpfen? Und wieso schwinden die Allgemeinarztpraxen in den ländlichen Regionen?

Tätigkeitsbeschreibung und fachliche Eindrücke

In meinen Famulaturen in der Klinik habe ich festgestellt, dass man in der Regel viel zuhört und beobachtet. Meine Erwartungen an das Praktikum waren nicht viel höher. Umso positiver war ich überrascht, dass ich, trotz des eng getakteten Praxisablaufs, eigene Patientinnen und Patienten sonografieren, nähen, betreuen und voruntersuchen durfte. Durch Letzteres habe ich bemerkt, dass die eigenen Wissenslücken sich meist erst offenbaren, wenn man ganz eigenständig einen Befund erstellt. Natürlich steigt dabei der Anreiz, Dinge nachzulesen und zu besprechen, um diese Lücken zu füllen.

Die Allgemeinarztpraxis Ehrl betreut ebenfalls einige Patientinnen und Patienten im Altenheim, die ich auch besuchen durfte. Hier warteten neue Herausforderungen auf mich: Polypharmazie, Diskussionen über den mutmaßlichen Patientenwillen der Bewohner/innenn, die sich nicht mehr dazu äußern können oder einfach die Suche auf den Stationen nach einem Patienten, das alles kommt selten oder überhaupt nicht in der Praxis vor.

Betreuung vor Ort

Trotz des hohen Patientenaufkommens war die Betreuung vor Ort sehr gut. Es war immer Zeit, meine offenen Fragen zu beantworten oder interessante Gespräche über medizinische Probleme und Themen zu führen. Von Sekunde eins an wurde ich offen und herzlichen von allen in der Praxis empfangen.

Die Praxis besteht aus vier Ärzten und Ärztinnen, die unterschiedliche Herangehens- und Arbeitsweisen haben. Ein Beispiel hierfür ist die Frage nach der Verwendung von Antibiotika bei Halsschmerzen. Während ein Arzt besonderen Wert auf die körperliche Untersuchung und die detaillierte Inspektion des Rachenraums legte, bevorzugte seine Kollegin die Verwendung des McIsaac-Scores aus der S3-Leitlinie für Halsschmerzen. Das hat mir gezeigt, dass es nicht den einen, richtigen Weg zur optimalen Patientenversorgung gibt, wie es manchmal in der Universitätslehre suggeriert wird, sondern es führen, auch in der Allgemeinmedizin, unterschiedliche Wege zum Ziel.

Unterkunft

Die Allgemeinarztpraxis liegt glücklicherweise zum einen direkt an der A9 und A93 und zum anderen an der Zugstrecke München-Nürnberg. Mit dem Auto braucht man morgens um 6:30 Uhr, vor dem Berufsverkehr, zirka 40 Minuten von München nach Wolnzach. Nach Praxisschluss bin ich entweder mit dem Auto nach München zurückgependelt oder habe mein Auto am Bahnhof geparkt und bin mit dem Zug gefahren. Die Regionalbahn braucht ungefähr 35-45 Minuten zum Hauptbahnhof München und ist dank des Deutschlandtickets sehr preisgünstig.

Land und Leute

Der Markt Wolnzach ist eine rund 60 km von München nördlich gelegene Kleinstadt mit rund 7.000 Einwohnern. Die Gemeinde Wolnzach, die noch viele kleinere Orte in der Umgebung umfasst, hat ungefähr 11.000 Einwohner.

Wolnzach liegt im Herzen der Hallertau, dem größten zusammenhängendem Hopfenanbaugebiet der Welt. Rund ein Drittel des weltweit verarbeiteten Hopfens stammt aus der Hallertau. Es ist also auch nicht verwunderlich, dass das einzige deutsche Hopfenmuseum hier beheimatet ist. Die Vielzahl an Hopfengärten, Wäldern und Flüssen bietet nicht nur ein schönes Landschaftsbild, sondern auch die Möglichkeit für interessante Spaziergänge.

Durch die ländliche, aber dennoch autobahnnahe Lage ergibt sich ein spannendes Patientenklientel in der Praxis. Durch die gute Anbindung an München, Ingolstadt und Regensburg, gibt es in der Praxis nicht nur ältere Patientinnen und Patienten, wie man es in ländlichen Gebieten erwarten würde, sondern auch viele junge Familien mit Kindern.

Fazit

Leider hat die Allgemeinmedizin ein eher „langweiliges“ Image unter den Medizinstudierenden, da sie oftmals auf Krankschreibungen und Erkältung reduziert wird. Nach dem zweiwöchigen Praktikum kann ich sagen: das stimmt nicht, im Gegenteil, ein vielseitigeres Fachgebiet wie die Allgemeinmedizin gibt es kaum. Schnittwunde nähen am Morgen, Blasenentzündung behandeln am Mittag und gegen Feierabend wird noch einem Kind mit Ausschlag geholfen. Drei Fälle aus vier verschiedenen medizinischen Fachgebieten. Alles wird in der Hausarztpraxis von demselben Arzt behandelt. Vergleichsweise selten wird eine Überweisung an den entsprechenden Facharzt ausgestellt, da man den Patientinnen und Patienten Wartezeiten von teilweise bis zu einem halben Jahr ersparen möchte.

Das stellt nicht nur ein breites Spektrum dar, sondern stellt den Hausarzt auch vor eine große Herausforderung. Generell hat der Allgemeinmediziner, im Gegensatz zur Klinik, wenig diagnostische Möglichkeiten. EKG und Sonographie wurden während meines Blockpraktikums zwar regelmäßig eingesetzt, können jedoch nicht jede medizinische Fragestellung beantworten. Es gibt im Gegensatz zur Klinik kein eigenes Labor und keine einzelnen Fachabteilungen, die schnell konsultiert werden könnten. Mir wurde erneut deutlich vor Augen geführt, wie wichtig eine gezielte Anamnese, eine gründliche körperliche Untersuchung und auch Erfahrungen sind.

Das Thema Zeit spielt ebenfalls eine große Rolle in der Allgemeinarztpraxis. Die meisten Termine waren mit zehnminütigen Zeitslots geplant. Natürlich würde man sich wünschen, dass mehr Zeit für den Ratsuchenden zur Verfügung stehen würde, aber letztendlich muss bei einer Praxis, wie bei allen anderen Betrieben, auch darauf geachtet werden, dass wirtschaftlich gearbeitet wird. Die Kombination aus schlechter Bezahlung der medizinischen Leistungen und großem Patientenaufkommen lässt leider nicht mehr Spielraum in der Behandlungsdauer zu. Gerade in ländlichen Regionen haben die Hausarzt- und Facharztpraxen einen großen Einzugsbereich mit dementsprechend vollen Terminkalendern.

Ein Punkt, der mir vorher nicht wirklich bewusst war, ist die Wichtigkeit einer funktionierenden Praxisstruktur. Um diese aufrechtzuerhalten, ist die Arbeit der medizinischen Fachangestellten enorm wichtig. Das Drucken von Rezepten, die Koordination von Terminen, die Durchführung von Blutabnahmen, das Schreiben von EKGs usw. sind unverzichtbare Aufgaben, die für den Betrieb einer Hausarztpraxis unerlässlich sind. Den Patientenansturm an einem Montagmorgen bereits vor dem Behandlungszimmer zu organisieren ist eine Kunst für sich und verdient den größten Respekt.

Ein zusätzlicher positiver Aspekt besteht darin, dass in ländlichen Gebieten in der Regel eine persönliche Bekanntschaft herrscht. Die Anonymität ist im Vergleich zur Großstadt viel geringer. Ein und derselbe Arzt kümmert sich über Generationen hinweg um dieselbe Familie, von der Geburt bis zum Lebensende.

Abschließend würde ich jeder Medizinstudentin und jedem Medizinstudenten empfehlen, einem Blockpraktikum oder einer Famulatur auf dem Land eine Chance zu geben. Auch wenn es erstmal einen Mehraufwand bedeutet, die Erfahrungen und Eindrücke sind es mehr als wert!

Infos zur Blockpraktikumsförderung

 

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